Donnerstag, 28. August 2008

Du weisst du bist in Sucre/Bolivien wenn...

...du keine 20 Meter weit kommst, ohne an einem [bitte einsetzen] Snackstand, Pizzastand, Minikiosk, Eisverkäufer, Getränkestand, oder-sonst-etwas-zu-Verkauf-stehendem-Essbaren vorbei zu kommen

...Gringa kein Schimpfwort, sondern eine liebevolle Anrede ist

...du zu jedem Gericht Kartoffeln kriegst
...sogar zu Lasagne
...sogar beim Chinesen

...der Bus genau dort hält, wo du willst. Nötigenfalls alle fünf Meter...

...du überzeugt davon bist, dass "yapa" und "huato" die spanischen Wörter für Nachschlag und Schuhbändel sind
... und dass "suchuna" Rutschbahn heisst

...du keinen Block weit kommst, ohne dass die Strasse entweder hoch oder runter geht
... und wenn gilt: runter geht immer ins Zentrum, ausser du bist schon über den Berg drüber

...der Supermarkt teurer ist als der Markt, und kleiner

...die reichen Viertel oben liegen und die armen unten

...alle Strassen Einbahn sind - weil die 2. Spur zum parkieren genutzt wird

...nicht einmal offizielle Schilder und Hinweise vor peinlichen Rechtschreibefehlern sicher sind

...du dich tagsüber wie in Spanien und nachts wie in Russland fühlst

...der Himmel einfach irgendwie blauer ist

...du irgendwann fast vergisst was das ist: Regen

...du irgendwann fast vergisst wie das ist: grün

...auf jeden Einwohner mindestens ein Strassenhund kommt

...in jedem Haushalt mindestens ein Hund zu Hause ist

...manche Haushalte zwar kein fliessendes Wasser und nur ein Bett für fünf Personen haben, fehlt der Fernseher nicht

...andere, vermögendere Haushalte in jedem Zimmer einen Fernseher haben (acht pro Haus...)

...alle mindestens einen Bekannten, Freund oder Verwandten hat, der in Spanien oder Argentinien lebt (zusätzlich zu den 9 Millionen Bolivianern in Bolivien soll es bis zu 3 Millionen ausgewanderte haben)

...du das Klopapier ja nie ins Klo werfen darfst, wenn du keine Überschwemmung erzeugen willst

...auf keiner Toilette der Mülleimer fürs Klopapier fehlt

...es aber auf keiner Toilette Klopapier gibt. Nicht einaml im Hotelzimmer.

...es Demos gegen Politiker gibt, die vor einem Monat mit überwiegender Mehrheit gewählt wurden
...und deren Amtszeit nur 5 Monate (bis zu den planmässigen Wahlen) dauert

...du in einem Jahr mehr Taxi fährst als in deinem ganzen Leben zuvor
...und mehr Coca Cola trinkst


Vor fast einer Woche habe ich mein zweites Zuhause in Sucre verlassen. Was und wie Bolivien wirklich ist, lässt sich kaum in Worte fassen. Ich habe es zwölf Monate mit über 20 Blogeinträgen dennoch versucht, und hoffe einen kleinen Einblick in dieses so spannende, schöne, zerrissene, stolze Land und das Leben seiner Leute verschafft haben zu können.

Danke fürs Mitlesen!

xenia

Donnerstag, 31. Juli 2008

San Pedro de Atacama - Salta - Potosí

Schon eine Woche bin ich wieder in Sucre und anscheinend so sehr von meinem Alltagsleben absorbiert, dass ich fast vergessen habe, dass ich euch noch einen Blog schulde.
Was lange währt wird endlich gut, so haben es mittlerweile auch die Fotos - alle Fotos - ins Internet geschafft.

San Pedro de Atacama (Chile)
Klingelt bei Atacama irgendwo im Hinterkopf ein Glöcklein? Genau, die trockenste Wüste der Welt. Und irgendwo an ihrem Rand eine (Touristen-)Oase.
Das Dorf soll angeblich mal zu Bolivien gehört haben. Erinnerte auch irgendwie daran: ungeteerte Strassen, Lehmhäuser, eine allgemeine leichte Heruntergekommenheit. San Pedro ist ein Anziehungspunkt geworden wegen seiner Nähe zu diversen Naturschönheiten. Ich nutzte meine drei Tage dort also für drei Ausflüge in die Umgebung.
Der erste führte mich ins Valle de la Luna (ja, eines der vielen...), wo bizarr geformte Felsen, Krater und das komplette Fehlen von Vegetation anscheinend an die Mondoberfläche erinnern sollten. Kann schon sein, war ja noch nie auf dem Mond. Von einer grossen Sanddüne aus beobachtete man den Sonnenuntergang, der die in der Ferne sichtbaren Berge der Anden rot leuchten liess. Da die Luft dort so trocken ist, kann man weiter als normal sehen, und die 300km entfernten Berge scheinen plötzlich viel näher.
Die zweite Exkursion begann früh, sehr früh morgens. Um 4:00 ging es per Bus Richtung "Tatio Geysire". Die zweistündige Fahrt brachte mich zu den höchstgelegenen Geysiren der Welt: auf 4'321m.ü.M. liegen die heisses Wasser und Dampf spuckenden Schauspiele. Wieso man so früh morgens hinfährt? Die tiefen Temperaturen vor Sonnenaufgang lassen den Dampf schöner zur Geltung kommen. Und tief waren sie wirklich: als wir aus dem Bus ausstiegen, soll es -15 Grad Celsius gewesen sein - Tendenz bis zum Sonnenaufgang sinkend. Gut gab es bald Frühstück: dampferhitzte Milch und dampfgekochte Eier :)
Dadurch und dank den wärmenden ersten Sonnenstrahlen, kehrten Wärme und Gefühl bald in Füsse und Hände zurück. An der Rückfahrt gab es diverse Zwischenstopps, um die andine Fauna zu würdigen; was mich als alten Altiplanohasen natürlich nicht sonderlich beeindruckte (habe wohl schon mehr Vicuñas als Gämsen und Steinböcke zusammen gesehen).
Die dritte und letzte Tour ging zur "Laguna Cejar". Die Landschaft erinnerte erst an Steppe, dann wirklich an Wüste. Und mittendrin diese himmelblaue Lagune, die dreimal so salzig wie das Meer ist. Dadurch, und durch die starke Sonneneinstrahlung tritt ein Lupeneffekt auf: die eintretenden Sonnenstrahlen werden von den Salzkristallen gebrochen/reflektiert/absorbiert (weiss-ich-doch-nicht) und so am Austreten gehindert. Effekt: das Wasser wird auf 40, 50, 60 Grad aufgeheizt, nur die obersten 10cm bleiben kalt. Nichts wie rein! Die Füsse wurden gekocht, das Schultern und das Schlüsselbein drohten einzufrieren. Und plötzlich konnte ich endlich das "tote Männli" machen :D
Nach den Ojos del Salar, zwei fast kreisrunde Lagunen, ging es weiter zu einer letzten Lagune, um mal wieder einen Sonnenuntergang zu beobachten, der es aber wirklich wert war. Die Berge spiegelten sich in der Lagune, der Mond ging auf, der Himmel war tiefblau, die Schatten wurden länger, die Sonne verschwand, die Berge färbten sich rot, der Himmel wurde blasser, die ersten Sterne erschienen - schon fast kitschig :)

San Pedro de Atacama


Salta (Argentinien)
Die Fahrt von San Pedro nach Salta dauerte fast zehn Stunden und war tagsüber. Das war aber gar nicht mal so ärgerlich, da man von einer tollen Sicht auf altbekannte Altiplanolandschaft entschädigt wurde: gelbes "Paja" Gras, tieftiefblauer Himmel, grasende Vicuñas, etc. Der Grenzübergang liegt auf dem Paso Sico auf 4'200m.ü.M.. Schon bald darauf schraubte sich die Strasse spektakulär steil und kurvig ins Tal, bevor man zuerst nach Jujuy (juhui ;)) und schliesslich nach Salta gelangt.
"Salta, la linda" wird die Stadt genannt, zu Recht: sie ist wirklich hübsch :) Mit einer zuckersüssen rosafarbenen Kathedrale, einer gepflegten und von Cafés umgebenen Plaza und vor allem dank der umliegenden Landschaft, ist Salta ein beliebtes Reiseziel, auch für Argentinier. Auf meinen beiden Ausflügen ins Umland, fand ich mich denn auch mit Argentiniern jeden Alters und aus allen Ecken des Landes im Minibus wieder (Stichwort: Winterferien).
Die Tour nach Cachi beinhaltete karger werdende Landschaft, ein Aufstieg (per Auto natürlich) auf 3300m.ü.M., was die Argentinier ganz spannend fanden, mich aber nicht gross kratzte, den Nationalpark der "Cardones", hohe Kakteen, und schliesslich das kleine koloniale Dörfchen Cachi. Abgesehen von den Kakteen also nichts, was ich nicht schon im nahe gelegenen Bolivien gesehen hätte.
Die Fahrt nach Humahuaca führte durch Yungas und Zuckerrohrpflanzungen Richtung Norden. Höhepunkte waren die Felsen links und rechts. Der "Cerro de los 7 Colores" etwa leuchtete in verschiedenen Gelb- Grün- und Rottönen, während die "Pollera de la Colla" kräftig gelb und rot gefärbt tatsächlich an einen Rock der indigenen Frauen erinnerte. Auf einem kurzen Zwischenhalt gab es Zeit das Monument auf dem südlichen Wendekreis (Trópico de Capricornio) zu bestaunen. Der letzte Stopp war in Jujuy, eine nicht sonderlich interessante Stadt, deren einzige Sehenswürdigkeit wohl die erste argentinische Flagge ist.
Am letzten Tag in Salta besuchte ich das Hochgebirgsarchäologiemuseum, wirklich spannend. Dort wurde eine 500-jährige, perfekt erhaltene (mit Organen! und Läusen ;)) Kinderleiche/-mumie ausgestellt. Die hübschesten Inkakinder wurden auserwählt, nach Cusco geführt, symbolisch verheiratet und auf hohen Berggipfeln geopfert. Das Prozedere sollte anscheinend den Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Teilen des Inkareichs (Tawantinsuyo) verstärken. Komisch nur, dass die Argentinier plötzlich so stolz auf das bisschen Inkageschichte sind, nachdem sie es in den letzten Jahrhunderten doch fast geschafft haben, jegliche Nachkommen der Ureinwohner Südamerikas auszurotten oder zu vertreiben.

Salta


Potosí
Gar nicht so einfach von Argentinien nach Bolivien zu gelangen. Nach der Busfahrt nach Aguas Blancas ging es durch den Zoll und per altem klapper Motorboot auf die bolivianische Seite, ins Städtchen Bermejo. (Jedes vernünftige Land hätte schon längst eine Brücke gebaut). Nach der Grenze suchte ich vergeblich das Immigrationsbüro der Bolivianer - das befand sich ein ganzes Stück weiterentfernt, an der Ausfahrt Richtung Tarija. (Jedes vernünftige Land würde sowas direkt nach der grenze bauen). Nach Tarija wollte ich denn auch und kam nach einer holprigen 3-stündigen Fahrt, vorbei an Zuckerrohrplantagen und noch mehr Zuckerrohrplantagen, in Tarija an. Dort machte ich bis zur Abfahrt des Buses nach Potosí, 24 Stunden später, nichts ausser schlafen, essen und mich zu freuen wieder in Bolivien zu sein. Und natürlich das angenehme Klima zu geniessen :)
Die Fahrt nach Potosí war wie erwartet schrecklich. Seit November ist kein Meter mehr geteert, der Bus war noch schrottiger als das letzte mal, die Nacht noch kälter, der Sitz noch unbequemer, etc.
Die zwei Tage in der höchstgelegensten Stadt Südamerikas (manche sagen "der Welt") auf 4'200m.ü.M. verbrachte ich damit mir koloniale Bauwerke anzusehen, durch die engen kolonialen Gässlein zu wandern, das Kloster von Santa Theresa und die Casa de la Moneda zu besuchen, den Cerro Rico (dessen Silbervorkommen Potosí zur einst grössten und reichsten Stadt des Kontinents werden liessen) zu bestaunen und die Potosinos bewunderte. Tag für Tag leben sie in diesen eisigen Temperaturen, und in ihren Häusern ist es, dank Mangel sowohl an Heizung als auch an Isolation, meist noch kälter als draussen. Davon lassen sie sich aber nicht die Laune verderben: auch um neun Uhr abends sind die Strassen voller Menschen, die sich auch mal Glace essend auf einem Bänkli niederlassen und plaudern...
Am zweiten Tag fuhr ich mit Bekannten aus Santa Cruz zur Laguna Tarapaya und den Thermalbädern von Miraflores. Das Wasser war so heiss, dass man fast vergessen könnte, jemals kalt gehabt zu haben. Kein Wunder sind die Bäder ein beliebtes Ausflugsziel der Potosinos. Anschliessend besuchten wir eine wunderschön erhaltene Hacienda, aus der Zeit der ersten Spanier. Gut verständlich, dass sie das mildere Klima der Täler bevorzugten.
Danach hielt mich aber alle koloniale Schönheit nicht mehr in Potosí - Sucre liegt einfach zu nah.

Potosí


Und hier bin ich nun, wieder, noch. Nicht mehr lange... Noch genau 3 Wochen bleiben mir in der Ciudad Blanca.

Bis bald ;)

Samstag, 19. Juli 2008

Ica - Arequipa - Arica

Ica+Arequipa=Arica. Hehe, so oder ähnlich.

Ica
Auf dem Weg von Pisco nach Ica musste, oder besser gesagt, durfte ich einen Nachmittag in Ica verbringen. Die kleine Provinzhauptstadt zeigte sich von ihrer besten Seite: sonnig, sauber und vor allem voller Leben. Genau das, was ich nach der morbiden Atmosphäre in Pisco gebraucht habe. Bei Backpackern ist Ica vor allem wegen der nahe gelegenen Oase Huacachina beliebt. Ich schaute auch kurz vorbei, und überzeugte mich von ihren Qualitäten als erholsamer Zwischenstopp. Die umliegenden Dünen laden zum Sandboarding ein und in der - eher seichten - Lagune kann man auch mal ein Bad nehmen.

Ica-Huacachina


Arequipa
Das Intermezzo in Ica war, wie gesagt, von kurzer Dauer. Schon am nächsten Morgen kam ich in Arequipa an. Die zweitgrösste Stadt Perus hat gerade mal 10% der Einwohner Limas und einen eher gemütlichen Rhythmus. Ihren Übernamen "Ciudad Blanca" (ja, wie Sucre!) verdankt sie den Kirchen und kolonialen Herrenhäusern, die komplett aus weiss-gräulichem Sillar (Vulkangestein) gebaut sind. Prominent ragt denn auch der Vulkan Misti hinter der Stadt auf.

Mollendo
Was macht man an einem Sonntag in Arequipa? Genau, nichts. Man fährt stattdessen ins Beach Resort Mollendo. Dumm nur, wenn man das im Winter macht. Doch so hatte ich wenigstens den Strand für mich alleine, wenn auch weder Wetter noch Wasser zum Baden einluden. Dafür schaffte ich es endlich ein typisch peruanisches Gericht, das Ceviche, zu essen. Der Haufen roher Fisch, Muscheln und Meeresfrüchte, mit Zitronensaft und frischem Chili schmeckte erstaunlich gut - Sushi kann einpacken ;)
Im nahe gelegenen Naturschutzgebiet verbrachte ich den Nachmittag Vögel und Wellen beobachtend.

Cañon del Colca
Einen Tag am Meer, den nächsten in den Anden. Näher liegen die beiden Extreme wohl kaum wo zusammen. Der Colca Canyon ist mit 3200 Metern - bedeutend mehr als der Grand Canyon - der zweittiefste der Welt (der tiefste ist der Cotahuasi Canyon, der gleich daneben liegt). Ein gutes Stück an Spektakularität geht ihm aber wegen seiner begrünten, ja sogar kultivierten, und zum Teil weit von senkrecht entfernten Wänden ab.
Der beste - und einzige - Weg, in den Canyon einzutauchen ist zu Fuss. Ich unternahm ein dreitägiges Trekking im Cañon del Colca. Am ersten Tag ging es rein bergab, das büssten wir dann mit dem Aufstieg am zweiten Abend. Der Weg den wir gingen wird auch von den Menschen genutzt die in kleinen Dörfern in der Tiefe des Canyons leben und dort hauptsächlich Obst anbauen. Um ihre Früchte gegen Mais, Kartoffeln und sonstige Waren zu tauschen unternehmen sie, begleitet von mehreren schwer bepackten Maultieren, alle paar Tage den steilen dreistündigen Aufstieg zum Dorf Cabanaconde, das oben am Canyon auf 3'500m.ü.M. liegt.
Die Dörfer im Canyon haben seit 2 Jahren Strom, und seit 3 Wochen auch Mobilfunkempfang. Das beeinflusst ihre bis anhin sehr traditionelle, ja man möchte fast sagen: rückständige (ganz stolz stellt ein kleines Museum Alltagsgegenstände aus, die seit Inkazeiten unverändert im Einsatz stehen), Lebensweise. Der Tourismus bringt durch den Verkauf von Artesanías (Kunsthandwerk) und Essen, und durch die Unterkünfte eine willkommene Einnahmensquelle und gibt der jungen Generation eine Zukunftsperspektive, verändert aber auch die traditionelle Dorfstruktur. Aber schliesslich kann man nicht immer leben wie vor 500 Jahren...
Am Mittag des zweiten Tages erreichten wir die Oase Sangalle, deren Swimmingpools zum Baden einluden. Allerdings nur bis um kurz vor 15 Uhr sie Sonne hinter den hochaufragenden Felswänden verschwand. Wir beschlossen den Aufstieg, der für den folgenden Morgen um 3 (!) angesetzt war, vorzuverschieben. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit kamen wir oben an. Am dritten und letzten Tag blieb uns somit jegliche körperliche Aktivität erspart. Per Bus ging es zum sogenannten "Cruz del Condor", wo wir tatsächlich das Glück hatten den eleganten Gleitflug der Kondore zu beobachten.
Wegen eines landesweiten Streiks ("Paro nacional") - ja, die Peruaner haben sowas auch - wurde die anschliessende Rückfahrt nach Arequipa stellenweise recht abenteuerlich. Doch es gelang dem Fahrer die mit Steinen blockierten Strassen zu umfahren - hat ja genug Platz links und rechts - und abgesehen von einigen bösen Blicken und drohend geschüttelten Fäusten liessen uns die Menschen ungehindert passieren.

Arequipa



Arica
Nach einem Ruhetag in Arequipa ging es ab Richtung Süden. Per Bus fuhr ich bis nach Tacna, Peru, von wo aus mich ein Taxi über die Grenze nach Arica, Chile brachte. Mein "Anschluss" nach San Pedro de Atacama war für 22 Uhr angesetzt, so dass ich den ganzen Nachmittag und Abend Zeit hatte, die nördlichste chilenische Stadt zu erkunden. Im Sommer soll Arica ein beliebter Badeort sein, doch davon war - dem sonnigen Wetter zum Trotz - jetzt im Winter nicht viel zu merken. Der Ort gehörte einst zu Peru, bevor Arica nach dem Pazifischen Krieg (ja, der Krieg um den Vogelschiss, in dem Chile von England unterstützt wurde und Peru und Bolivien, welches seinen Zugang zum Meer verlor, als Verlierer dastanden - nicht zu Verwechseln mit dem Pazifikkrieg als Teil des Zweiten Weltkriegs) an Chile überging.
Ausser der äusserst lebendigen Fussgängerzone, die mir einen milden Kulturschock versetzte: so viele so schicke Geschäfte, so viele Menschen mit Einkaufstüten, so viel Wohlstand, zu viel Konsumwille/-wahn einfach.

Arica



Und nach den unglaublich netten Menschen in Peru, hinterlissen die Chilenen einen eher schlechten ersten Eindruck: herablassend, arrogant, unfreundlich.
Das alles liegt schon eine Woche zurück, mittlerweile habe ich Chile verlassen und bin in Argentinien. Doch das gehört in den nächsten Blog :)

Mittwoch, 9. Juli 2008

Cusco - Nasca - Pisco

Unglaublich wie schnell die Zeit vergeht, wenn man auf Reisen ist. Fast drei Wochen bin ich schon in Peru unterwegs und habe bis jetzt nur positive Erfahrungen gemacht. Die Leute sind sehr freundlich und deutlich offener als in Bolivien. Komisch nur, dass die meisten penetrant versuchen Englisch zu sprechen, auch wenn ich ihnen die längste Zeit auf Spanisch Antwort gebe. Das Land ist halt viel touristischer als sein ärmerer Nachbar, das bestätigen auch die Schafherden-ähnlichen englischen, deutschen und japanischen Reisegruppen. Ein dadurch entstehender Nachteil ist die Vertouristisierung der Stadtzentren, mit Preisen die einfach nur noch "Abzocke" rufen. Oder wieso soll man in einem "Restaurante Turistico" für ein angeblich typisch peruanisches Menü 15 Soles (5CHF) bezahlen, wenn es das selbe erst noch authentischer im kleinen Beizli für 3 Soles (1CHF) gibt?
Doch genug davon, kommen wir zur Sache.

Cusco
Der Nabel der Welt (Quechua: Q'osqo) und das Zentrum des peruanischen Tourismus. Meine erste peruanische Stadt hat mich sehr positiv überrascht. Trotz allem internationalen Rummel hat sie eine entspannte Atmosphäre bewahrt. Die schmalen Gässchen und ausladend einladenden Plätze aus Inkazeiten tragen sicher ihren Teil dazu bei. Da können auch die unzähligen Reisebüros, Toursitenrestaurants und Souvenir (bzw. Artesanía) Läden nichts daran ändern.
Das grösste As im Ärmel ist natürlich der nahe gelegene Machu Picchu, an den ich mich mit kleineren Ausflügen langsam herantastete.
Eigentlich wollte ich ja zu Fuss einige Inkaruinen in der Umgebung der Stadt besuchen, doch das Angebot, das hoch zu Ross zu tun, klang einfach zu verlockend. Ganz so toll war es dann aber nicht, Pferde sind einfach verdammt unbequem. Und das ich eigentlich gar nicht reiten kann, schien den Guide auch nicht gross zu interessieren; forsch trabte er voraus.
Sehr schön war aber die Umgebung, grüne Eukalyptuswälder, rote Erde und gelbes Gras. Auch die Inkastätten Tambomachay, Pukapukara, Q'enqo und Saqsaywaman waren durchaus interessant, vor allem dank der Erläuterungen der Tourismusstudenten. Letztere ist die am besten erhaltene und wichtigste Inka Ruine nach Machu Picchu. So gut im Schuss ist sie vor allem dank ihrer erdbebensicheren Bauweise: die teils riesigen Steinblöcke weisen entweder Höhlungen oder Ausbuchtungen auf und sind nie einfach rechteckig. Das ermöglichte es stabile Wände ohne die Verwendung von Mörtel oder ähnlichem zu bauen. Konkave oder konvexe Wände und das Fehlen von rechten Winklen sorgten für zusätzliche tbilität. Anscheinend wurden zum Bau dieser Tempelanlage keine Sklaven eingesetzt, alles basierte auf "freiwilliger Fronarbeit" aus Liebe zu den Göttern und zum Ober-Inka.
Cusco

Langsam tastete ich mich an eines der sieben Weltwunder heran. Doch zuerst ging es rein ins Valle Sagrado (Heiliges Tal) der Inkas. Im kleinen Dörfchen Pisaq bestaunte ich die dort erhalten gebliebenen, oder rekonstruierten, Inkawohnhäuser und die Terrassen, die zur Landwirtschaft genutzt wurden. Da könnten unsere Bergbauern direkt noch etwas lernen! Hoch über dem Dorf liegen die Ruinen, so dass ich einen tollen Blick aufs Tal hatte. Es wird grüner!
Noch grüner war es in Ollantaytambo, wo ich nach dem Besuch eher enttäuschender Ruinen übernachtete, bevor ich dann am nächsten Tag morgens früh um halb 6 den Zug bestieg.
Ja, der einzige Weg um nach Aguas Calientes (auch Machu Picchu Pueblo genannt) zu gelangen ist per Zug. Und wie immer gilt, wo ein Monopol herrscht können die Preise beliebig erhöht werden. Für die knapp anderthalb Stunden Zugfahrt bezahlte ich 30 Franken - und das war die günstigste Variante. Irgendwie ging es denn auch im selben Stil weiter. Für das Eintrittsticket zum eigentlichn Machu Picchu gibt es zwar eine grosszügige Studentenermässigung (halber Preis), doch nur für Studenten mit Uniausweis. Und woher einen solchen nehmen, wenn man noch nicht an der Universität ist? Gerecht war es nicht, aber ich konnte es mir ja leisten und bezahlte den vollen Preis (45 CHF). Der nächste Schlag war der Bus, der einem vom Dorf in knapp 20 Minuten nach oben bringt: 7 Franken.
Doch dann war es endlich soweit, da lag sie vor mir, "die vergessene Stadt der Inkas". Beeindruckend auf den ersten Blick, mit den beiden Bergen im Hintergrund und dem dicht grünen Wald rundherum. Bei näherem Hingucken zeigte sich aber, dass ein Grossteil der angeblichen Ruinen nicht immer liebevoll rekonstruiert sind, nur wenige Wände weisen die charakteristische Inkabauweise auf (siehe oben^^). Zum Glück ist das Gelände so gross, so dass sich die Herscharen gut verteilten. Und über Mittag wurde es plötzlich ganz leer und ich hatte das Gefühl, die Ruinen fast für mich allein zu haben. Irgendwann hatte ich es aber auch gesehen und machte mich zu Fuss auf den Weg runter zum Dorf, um von dort aus dann per Zug zurück nach Cusco zu fahren.
Fazit zum Machu Picchu? Schön und imposant vor allem dank der Lage, sprich der umgebenden Landschaft. Leider hoffnungslos überteuert und sehr touristisch. Aber hey, ich war dort!
Valle Sagrado und Machu Picchu


Nasca
Aus dem grünen Urubambatal in die Wüste. Spätestens seit dem Mystery Park ist uns allen Nasca ein Begriff: genau, die rätselhaften Zeichnungen, Linien und Plätze mitten in der Wüste. Bevor ich den obligaten Flug über die Wüste unternahm, hatte ich die Gelegenheit mich etwas genauer über die verschiedenen Erklärungsansätze zu informiern. Von Däniken beleuchtete das ganze ja ziemlich einseitig ;)
Je nach Forscher sind die Linien astronomische Kalender (tatsächlich weisen einige zu Sonnenauf- und Sonnenuntergangsorten bei Sonnwenden und Tag-und-Nacht-Gleichen hin), Wegweiser zu Wasserquellen oder Wege, die zu Zeremoniezwecken beschritten wurden. In Wahrheit wahrscheinlich eine Mischung aus alledem, schliesslich entstanden die Geoglyphen über Jahrhunderte hinweg. Die ältesten sind die Zeichnungen, die so ortsfremde Tiere wie Wal, Affe und Papagei darstellen. Wahrscheinlich sollten die Götter der Nascas durch die Dargstellung dieser Tiere, die auf die eine oder andere Weise Wasser symbolisieren, daran erinnert werden, doch bitte den so dringend benötigten Regen zu schicken.
Der etwa halbstündige Flug im Kleinstflugzeug (6 Leute inklusive Pilot) zeigte uns 14 der schönsten Figuren, bevor wir sanft wieder landeten.

Nasca


Pisco
Wald, Wüste,... was fehlt? Wer Perus Klimazonen kennt, weiss es: das Meer. Oder genauer gesagt, der pazifische Ozean. Mein Ausgangspunkt dazu war Pisco (ja, wie in Pisco Sour), allerdings nicht für gemütliche Strandferien, sondern für einen Ausflug zu den Islas Ballestas, "die Galapagos des kleinen Mannes".
Wer erinnert sich noch an das Erdbeben von letztem August in Peru? Ich zumindest hätte es erstens völlig vergessen gehabt, und zweitens sowieso nicht gewusst wo es war, wenn mich nicht der Hotelbesitzer in Nasca vorgewarnt hätte. So war ich zumindest theoretisch darauf vorbereitet, dass Pisco zu 70% zerstört worden war. Praktisch aber überraschte mich das Ausmass der Zerstörung, dass auch fast ein Jahr nach der Katastrophe noch herrschte sehr. Da wohnen noch immer Leute in Zelten (von den Behausungen aus Bambusmatten, Holzbrettern und Plastikblachen ganz zu schweigen), da klafft in scheinbar intakten Strassenzügen plötzlich eine Lücke, da stehen sie nebeneinander wie zu klein geratene Einfamilienhäuser, die Notfertigholzhütten (von der Türkei gespendet). Die Strassen voller Löcher oder voller Schutthaufen, das ganze scheint ein einziges Umschichten von Steinen, Sand und Holz zu sein. Und über allem hängt dieser tiefgraue Himmel...
Da war mein Ausflug zu den Inseln doch deutlich erfreulicher: wir bekamen Tölpel, Kormorane, Aasgeier, Pelikane, Krebse, Humboldtpinguine und Seelöwen zu sehen. Und der Höhepunkt ganz zum Schluss: "Da! Ein Delfin!" Er taucht auf, taucht ab, und plötzlich sieht man vier der scheuen Meeressäuger an der Wasseroberfläche. So schnell wie sie aufgetaucht waren, verschwanden sie auch wieder, und zurück blieb das bleigraue Meer.

Pisco



Nichts wie weg aus Pisco, und um dem ewig grauen Himmel zu entfliehen, weg vom Meer. Doch das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Eine Vorliebe für "sc" Laute scheinen die Peruaner bei der Bennenung ihrer Städte ja zu haben, doch es geht auch anders. Mittlerweile bin ich in Arequipa, was anscheinend aus dem Quechua "Ari, quipay" (Ja, bleiben!) kommt. Mal sehen wie lange es mich hier noch hält :)
ps: Fotos wie immer bei Gelegenheit. Die zum ersten Blog sind mittlerweile da!

Donnerstag, 26. Juni 2008

Cochabamba - La Paz - Copacabana

Endlich unterwegs! Gestern ist der bolivianische Teil meiner Reise zu Ende gegangen, und heute sitze ich schon in Cusco :)
Doch immer schön der Reihe nach...

Camp Cocha
In Cochabamba hatten wir unser letztes offizielles ICYE Camp, wie immer machten wir nicht gerade viel, hauptsáchlich ICYE beurteilen. Ich hätte der Organisation soweit ja gute Noten gegeben, andererseits hatte ich ja auch keine Probleme, bei denen sich ICYE hätte bewähren müssen. Bei einigen Austauschern sah das freilich anders aus, vor allem die in La Paz stationierten deutschen Zivilschutzleistenden schienen im ganzen Jahr keine zufriedene und ruhige Minute gehabt zu haben. Das könnte natürlich an einer äusserst negativen Einstellung, der fehlenden Offenheit gegenüber bolivianischen Bräuchen, bolivianischem Verhalten und der bolivianischen Küche und am verzweifelten Festklammern an deutschen Tugenden gelegen haben...
Um diese wichtige bolivianische Stadt (Vorratskammer des Landes) kennenzulernen, hängte ich noch einen Tag in Cochabamba an. Viel zu sehen gibt es allerdings nicht, einzig die höchste Christusstatue der Welt (ja, höher als die in Rio de Janeiro..), welche mit einem Gondelbähnchen zu erreichen ist, macht touristisch einigermassen etwas hin. Aber sicher eine angenehme Stadt zum Leben, mit einem perfekten Klima, vielen schönen Cafés, etc.

Cochabamba


¡A La Paz, a La Paz!
Alapas, alapas - was ist das denn? Ach so, die wollen Bustickets nach La Paz verkaufen! Na dann, nichts wie hin!
Meinen ersten Tag in der de facto Hauptstadt (ich als Sucrenserin sollte so etwas ja nicht sagen :o) verbrachte ich mit Kultur pur: Museen, Kirchen und abends ins Theater. Auch ein Abstecher in die Artesanías Allee durfte nicht fehlen, wenn ich mich auch aus Rücksicht auf Gewicht und Grösse meines Rucksacks shoppingmässig sehr zurückhielt. Sowieso gibt es die meisten Sachen zum selben Preis auch in Sucre...
Für meinen zweiten Tag hatte ich eine Tour nach Tiahuanaco (oder Tiwanaku) gebucht. Die Ruinen dieser prä-inkaischen Hochkultur befinden sich etwas 2 Stunden von La Paz entfernt. Ohne Führer sähe man wahrscheinlich nur einen Haufen verstreute Steinblöcke, hier eine mauer, da ein Monolith. So aber lernte ich, dass die Tiahuanacos nesipielsweise über ein hochentwickeltes Bewässerungssystem verfügten, Gehirnoperationen vornahmen (mit Koka als Betäubungsmittel!) und systematisch Schädel von Kleinkindern deformierten um eine höhere Neuronenzahl im Gehirn zu erreichen. Sie beherrschten über 2700 Jahre lang das Altiplano und expandierten gegen Schluss hin sogar bis zur Pazifikküste, bevor sie in kleine Gruppen zersplitterten und schliesslich dem Inkareich einverleibt wurden.
Aus meinem Ausflug zum einst höchstgelegenen Skigebiet der Welt (heute hat es keinen Schnee mehr, sprich der Gletscher ist geschmolzen) Chacaltaya wurde leider nichts, so dass ich noch einen Tag in La Paz verbrachte.

Willkakuti - Die Rückkehr der Sonne
Die Wintersonnwende am 21. Juni wird von den Aymaras im bolivianischen Hochland als Fest der Rückkehr der Sonne zelebriert. Tausende Touristen zieht es dafür nach Tiahuanaco, doch wir ICYE Austauscher - die die Lust hatten - erhielten die Gelegenheit an einer etwas ursprünglicheren Zeremonie teilzunehmen. Dafür fuhren wir von La Paz aus ins kleine Dorf Jesús de Machaca, irgendwo nahe der peruanischen Grenze im Nichts des Altiplanos. Um fünf Uhr früh wurden wir aus unseren warmen Betten geholt und eigentlichen Ort der Feierlichkeiten gefahren. Dort wurde kurz vor Sonnenaufgang für einmal kein Opferlamm sondern ein Opferlama geschlachtet, dessen Blut die Pachamama (Mutter Erde) gnädig stimmen soll. Gut, sah ich nicht allzu viel vom anschliessenden weiterreichen des Herzens :s
Mit in die Luft gestreckten Händen wurden die ersten Sonnenstrahlen empfangen, höchste Zeit wenn es nach meinen eingefrorenen Finger- und Zehenspitzen ging. Das ganze ging dann in eine Art Volksfest über, mit Musik, Tanz, Essen und Trinken. Am Mittag wurden die neuen Mallkus (Repräsentanten der Dörfer) gewählt. Dazu stellte man sich hinter den Kandidaten, dessen Rede (natürlich alles in Aymara, da nützte mir auch mein bescheidenes Quechu nichts) einen am meisten überzeugt hatte, und anschliessend wurde geguckt wo die längste Schlange stand.

La Paz


Copacabana
Nach einer weiteren Nacht in La Paz fuhr ich am vergangenen Sonntagvormittag nach Copacabana. Zeit für Strandferien? Naja, fast. Einen Strand hat es in Copacabana zwar schon, doch kühle Winde, die Höhe von fast 4'000 m.ü.M. und eine Wassertemperatur von durchschnittlich gerademal 9 Grad laden nicht unbedingt zum Baden ein. Ihr habt es schon erraten, ich spreche nicht vom berühmten brasilianischen Strand, sondern vom kleinen Touristenort am Titikakasee in Bolivien.
Am Montag unternahm ich einen Ausflug zur Isla del Sol und wanderte von deren Nordteil bis nach Yumani, im Süden der Insel. Der Weg soll anscheinend nur 6 Kilometer lang sein, aber das ständige auf und ab (vor allem natürlich das auf) brachte mich dennoch ganz schön ausser Atem. Ich blieb dann auch über Nacht auf der Insel und bewunderte erst den Sonnenuntergang und dann den Sternenhimmel.
Weil es mir in Copacabana so gut gefiel, das "Hotel" so günstig war, die Lachsforelle so gut schmeckte, ich nicht aus Bolivien wegwollte und überhaupt alles wie Ferien war, blieb ich einen Tag länger als ursprünglich geplant, und fuhr erst gestern Mittwoch Abend ab Richtung Cusco.
Und hier bin ich heute früh, nach der wahrscheinlich kältesten Busfahrt meines Lebens (wozu hat es denn eine Heizung wenn man sie nicht anstellt?!), angekommen. Doch das ist das nächste Kapitel - Fortsetzung folgt.

Copacabana


Montag, 9. Juni 2008

Vida cotidiana (Teil X)

Juhu, ich habe es tatsächlich auf zehn Teile "Vida cotidiana" gebracht. Gut, dass ich bald reise, sonst hätte das glatt noch langweilig werden können...

Flora Andina - Wunderpflänzchen (Teil 4 von 4)

Dass in den Anden so allerlei interessantes wächst, habe ich bereits in den letzten drei Teilen (ja, ich bin Fan von Serien) klar gemacht. Dann gibt es da aber auch so einige berühmt berüchtigte Blättchen, Wurzeln und Früchtchen, deren Wirkung weiter geht.

Die berühmteste wie immer zuerst: die Coca. Und nein, das unscheinbare Blatt selber ist keine Droge. Souvenir T-Shirts verkünden es "La hoja de Coca no es droga", auch wenn insbesondere die amerikanische Regierung alles daransetzte, alle genau das glauben zu lassen und während Jahren in den Krieg gegen die bolivianischen Cocaleros (Coca-Bauern) zog. Der Effekt davon ist das Gesetzt 1008, welches die zum Cocaanbau bestimmte Fläche einschränkt. Irgendwie logisch, dass eine der ersten Amtshandlungen Evo Morales' war, dieses Gesetz (zumindest teilweise) für nichtig zu erklären und zu versprechen die Cocaanbaufläche innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln.
Aus Cocablättern wird vor allem Tee (Mate de Coca) hergestellt, der ähnlich wie Grüntee schmeckt und wirkt und gegen die Höhenkrankheit wirkt. Häufiger jedoch als getrunken wird Coca gekaut: aus grossen Säcken verkaufen die Marktfrauen getrocknete Cocablätter, die zusammen mit Asche gekaut werden und Müdigkeit, Kälte und Hunger vergessen lassen. Kein Buschauffeur ohne "Bola" (Kugel) in der Wange, kein Taxifahrer ohne Cocablätter im Handschuhfach und schon gar kein Minenarbeiter ohne seine Coca. Neben Kalzium, Eisen und Vitaminen enthalten die Cocablätter auch Koffein und, ja, Kokain.
Geschichten von jungen Männern die für einige Zeit im Chapare Coca geerntet hätten und so ein Vermögen gemacht hätten werden immer wieder gerne erzählt. Auch da anscheinend nur die Coca aus den Yungas (Tiefland bei La Paz) nicht aber die aus dem Chapare (Tiefland bei Cochabamba) zum Kauen geeignet sei.
Einfach anzubauen und garantiert hohe Erträge: schwer es den Bauern zu verübeln, dass sie sich nicht mit dem Anbau von Alternativprodukten abmühen. Eine Lösung könnte die Legalisierung der Coca sein, um sie als Inhaltsstoff von Kosmetikprodukten und Zahnpasta oder als Basis für Nahrungsergänzungsmittel&Co. verwenden und vor allem diese Produkte dann auch exportieren zu können. Nicht das Ausgangsprodukt ist das Problem, sondern das Endprodukt, was wohl leider grösstenteils immer noch Kokain ist.

Coca Blatt


Je nach Quelle "Ginseng Andino" (Ginseng der Anden) oder "Viagra Andina" genannt, ist die Maca-Wurzel das Wunderpflänzchen schlechthin. Kaum endenwollend ist die Liste der positiven Wirkungen der Maca: Leistungssteigernd, Antidepressivum, Potenzfördernd, Antianämikum, Stärkung des Immunsystems, etc.
Kein Wunder kann die Maca so viel, hält ja auch selber eine ganze Menge aus. Die Pflanze wächst auf 4000 bis 5000 m.ü.M., wo sie extremer Kälte, starker Soneneinstrahlung und kräftigen Winden ausgesetzt ist.
Verkauft wird Maca in Pillenform oder geröstet und gemahlen als leicht bitter schmeckendes Pulver. Auch Güetzi und Getreideriegel mit Maca in der Zutatenliste habe ich schon gesehen.

Maca Wurzel

Vorsicht, scharf! Der Locoto kann zwar auf den ersten Blick aussehen wie eine zu klein geratene Peperoni (mal abgesehen von den auffällig schwarzen Kernen), doch spätestens der erste Bissen lässt den Irrtum klar und die Suche nach Wasser dringend werden. Schaaaaaaarf! Die Pflanze aus der Familie der Paprikagewächse ist ein beliebtes "Gewürz" in der bolivianischen Küche und wird beinahe täglich gegessen. Während die ganz harten Kerle sich Locoto Würfelchen pur ins Sandwich oder die Suppe packen, wird der Locoto meistens in Form von Llajua konsumiert: im Mahlstein zusammen mit Tomate (und ohne Samen - sonst wird es selbst den Bolivianern zu scharf) gemahlen und mit ein bisschen Salz gewürzt, fertig ist der etwas andere Ketchup :)
Llajua steht immer auf dem Tisch, ob zu Reis, Kartoffeln, Ei, Fleisch oder gar Fisch. Anerkanntermassen schmeckt sie besser auf traditionelle Art zubereitet als aus dem Mixer, Llajua Konserven hatten bisher noch keinen Erfolg. Sehr wohl aber kriegt man in den Pollo Fast Food Schuppen neben Mayonese immer auch Llajua in kleine Säckchen abgefüllt, und angeblich hat es die Llajua sogar ins Menü von Burger King Bolivia (McDonalds gibt es im ganzen Land keinen einzigen!) geschafft.



Mahlstein "Batán"

Die Chagas Krankheit
Ein typisches Beispiel einer Krankheit, die vor allem die armen Menschen betrifft. Übertragen wird der Erreger dieser Krankheit durch den Biss einer Raubwanze (vinchuca), die mit Vorliebe in Lehmwänden und Strohdächern lebt. Also genau so, wie auch die Mehrheit der bolivianischen Landbevölkerung und immer noch viele Leute an den Stadträndern leben. In Bolivien könnte bis zu einem Viertel der Bevölkerung mit dem Erreger infiziert sein, oft unwissend. Auch in meinem Projekt kenne ich einige Kinder, die Chagas haben...
Nach der akuten Phase mit Symptomen wie Fieber, Bauchschmerzen und Durchfall schlummert der Erreger für 20 oder 30 Jahre vor sich hin und der Kranke ist symptomfrei. Dann kommt es in ca. einem Viertel der Fälle zur chronischen Phase, die im Endeffekt zum Tod durch Herzvergrösserung oder Darmdurchbruch führt.
Impfung oder Vorbeugung gegen die Chagas Krankheit gibt es nicht, heilbar ist sie auch nicht. Erhältlich sind einzig Medikamente, die in der akuten Phase angewendet werden können, um die Wahrscheinlichkeit eines dereinstigen Übergangs in die chronische Phase zu reduzieren. Diese sind jedoch hoch giftig und weisen viele und starke Nebenwirkungen auf.
Klar, wieso sollten die Pharmakonzerne denn ein Interesse daran haben, ein Medikament zu erforschen und zu produzieren, dass die Patienten, die kaum genug zum (Über-)Leben haben, sowieso nicht bezahlen könnten?
Vorbeugende Massnahmen zur Verhinderung der Infektionen wären nicht schwer: Häuser die weder aus Lehm noch aus Stroh gebaut sind, separate Unterkünfte für Haus- und Nutztiere, Verbesserung der sanitären Einrichtungen. Doch in Sucre baut man lieber Parks und richtet WiFi auf der Plaza ein (ja, echt vortschrittlich!), als endlich die armen Vorortquartiere an die Kanalisation und ans fliessende Wasser anzuschliessen und die Behausungen der Menschen zu verbessern.


Suri Sikuri
Der Tanz der an die Jagd der Ñandues (Südamerikanischer Vogel Strauss) erinnert. Suri ist Ñandú in Aymara und Sikuri sind die Flötenspieler, welche den Vogel mit ihren Klängen anlockten. Ein Tanz noch aus den Zeiten vor der Ankunft der Spanier, ein Tanz der auch heute noch im Karneval oder bei folkloristischen Umzügen in Bolivien getanzt wird. Ein Tanz, den auch ich tanzen kann :)
Wie genau sie es geschafft hat mich dazu zu überreden, dass ich tanze, weiss ich nicht. Tatsache ist aber, dass ich gestern zusammen mit meiner Gastschwester und einer Auswahl von Studenten aus der Fakultät für Erziehungswissenschaften tanzend durch halb Sucre gezogen bin. Sehr zur Freude natürlich der Zuschauer: "Mira, la Gringuita está bailando" (Schau, die Weisse tanzt) und "Vamos, Gringuita, vamos!".
Während knapp 10 Tagen war jeden Abend zwei Stunden üben angesagt, und jetzt im Nachhinein kann ich nur schwer verstehen wie ich mir die Schritte zu beginn beim besten Willen nicht merken konnte.
Glaubt ihr nicht? Würde ich auch nicht, deshalb zum Beweis einige Fotos. Videos gibt es leider nicht, aber man hat ja Youtube (die Melodie ist schon mal eine, die ich unzählige Male gehört habe, wenn auch der Tanz irgendwie anders aussieht - die Bühne ist halt nicht die Strasse).




Die Erfahrung war die schmerzenden Füsse alle mal wert! :)


Freitag, 30. Mai 2008

Vida cotidiana (Teil IX)


Das tägliche Leben in Sucre geht weiter, nicht mehr lange allerdings. Die Reisezeit ab Mitte Juni kommt mit riesen Schritten näher.

25 de Mayo 1809 - 25 de Mayo 2008
Am 25. Mai 1809 nahm die sogenannte Revolution von Chuquisaca, die 1825 endlich zur Unabhängigkeit Boliviens führte, in Sucre ihren Anfang. Am 25. Mai 2008 wurde der 199. Jahrestags des "Primer Grito de la Libertad", des ersten Rufs nach Freiheit gefeiert. Wie auch schon beim historischen Ereignis, spielten die Studenten der Universität San Francisco eine wichtige Rolle bei den feiern, oder besser gesagt bei dem, was aus den Feiern wurde. Evo Morales hatte für den Samstag, 24. Mai, seinen Besuch angekündigt, um den Gemeinden des Departements von Spanien geschenkte Ambulanzen zu überreichen und neue Bauprojekte vorzustellen. Die Sucrenser, immer noch auf eine Entschuldigung für die beiden Toten vom November pochend, wollten das auf keinen Fall zulassen. Evos Anhänger aus den ländlichen gebieten reisten dennoch an, um ihrem Präsidenten zu zu jubeln und um ihre Geschenke in Empfang zu nehmen. Wie genau es zur Eskalation kam, ist unklar. Anscheinend hatte jemand unter den demonstrierenden Studentetn die Nachricht verbreitet, dass Campesinos in Azari Abra (Vorstadtquartier) auf Studenten einschlagen würden. Der wütende Mob fuhr hin und schnappte sich die - absolut friedlichen - Campesinos; liess sie Hemden ausziehen und trieb sie vor sich her durchs Zentrum Sucres. Auf der Plaza wurden sie gezwungen sich hinzuknien und die Nationalhymne zu singen, während die Studenten ihre Flagge, die Wiphala, verbrannten.
Das war er also, der so oft erwähnte Rassismus in Bolivien. Nicht wie bei uns gegen Ausländer, sondern ganz einfach gegen Menschen die ein wenig mehr Inkablut und ein bisschen weniger spanisches in sich haben, die ärmer leben und härter arbeiten.
Auch wenn sich die Bevölkerung Sucres grössten Teils einig ist, dass es die Studenten dieses Mal eindeutig zu weit getrieben haben, tauchen sofort auch Verschwörungstheorien auf, von wegen die Masistas (Anhänger von Evo Morales' MAS Partei) selbst hätten diesen Akt von Entwürdigung durchgeführt um die Studenten in Misskredit zu bringen.

Fast schneller als die Presse reagieren in solchen Fällen die Graffitischreiber Sucres:
"Visite Sucre, Cuna del Racismo" (Besuchen Sie Sucre, Wiege des Rassismus.) Abwandlung des Werbespruchs "Sucre, Cuna de la Libertad" (Sucre, Wiege der Freiheit)
"Sucre, Capital plena del Racismo" (Sucre, Hauptstadt des Rassismus) In Anspielung auf die Forderung der Sucrenser wieder Hauptstadt Boliviens zu sein.
"Humillar Campesinos no es de Cristianos" (Campesinos zu erniedrigen ist unchristlich)
Und schliesslich: "Las paredes se callarán cuando la prensa diga la verdad" (Die Wände werden schweigen, wenn die Presse die Wahrheit sagt)


Andine Flora (Teil 3 von 4) - Knollen
Über 300 verschiedene Arten von Kartoffeln soll es in Bolivien geben. Uns sollen heute jedoch nur drei ganz besondere Knollen interessieren.
Die berühmteste vorweg: der Chuño. Der Name stammt aus dem Quechua ch'uñu und bedeutet zerknittert, vertrocknet.

Ja, das kleine schwarze Ding ist tatsächlich eine Kartoffel, oder war zumindest einmal eine. Im Hochland Boliviens und Perus werden die Kartoffeln in den kalten Nächten draussen ausgebreitet, wo sie gefrieren. Tagsüber dann werden sie von der unbarmherzigen Sonne getrocknet. Um auch das letzte Quäntchen Wasser rauszupressen, werden die Kartoffeln mit den Füssen gestampft. Der Prozess wird drei Tage und drei Nächte lang durchgeführt, um schliesslich eine kleine, gefriergetrocknete Kartoffel zu erhalten, die ohne besonderen Aufwand jahrelang haltbar bleibt.
Wenn man sich dann schliesslich entschliesst die Kartoffel doch endlich zu essen, lässt man sie zuerst über Nacht einweichen und zieht ihr dann die Schale mehr schlecht als recht ab. Chuños werden in Bolivien oft in Suppen verwendet, manchaml auch als Beilage zu Fleisch, immer kombiniert mir normalen Kartoffeln. Man mag sie oder man mag sie nicht. Der nussige Geschmack und die seltsame Konsistenz, oder ganz einfach das Wissen um ihren Herstellungsprozess, sind nicht jedermanns Sache.

Nummer zwei in meiner Auswahl ist die Papa Lisa. Die kleinen, bunten (rot-orange oder gelb-grün) Kartöffelchen sind im gesamten südamerikanischen Andengebiet (Pleonasmus?) verbreitet, und werden überwiegend auf 3000 bis 4000 m.ü.M. angebaut.

Obwohl einfach zu pflanzen, gibt es mehrere Faktoren, die eine weitere Verbreitung der Papa Lisa verhindern. Zum einen hat es bisher noch niemand versucht, sie maschinell zu ernten, dann braucht sie eine Reifezeit von 7 bis 8 Monaten (normale Kartoffel: 4 bis 5) und schliesslich ist sie auch noch speziell anfällig für Pflanzenviren.
Die Papa Lisa wird in Bolivien zumeist als Ají de Papa Lisa gegessen: gemischt mit Fleisch, Erbsen und gewöhnlichen Kartoffeln wird sie leicht zerstampft und mit einer +/- scharfen Chilisauce serviert. Der Geschmack ist erdig und vor allem der Duft während des Kochens erinnert an Randen.

Zu guter letzt war da noch die Oca.

Glaubt man Wikipedia, kommt die Papa Oca aus der Familie der Sauerkleegewächse. Wie auch die beiden anderen Knollen wird sie auf 3000 bis 4000 m.ü.M. angebaut. Anscheinend ist sie nach der gemeinen Kartoffel die am zweithäufigsten kultivierte Pflanze im andinen Altiplano.
Ihr Geschmack ist säuerlich bis süsslich und gegessen wird sie als Beilage zu Fleisch, immer begleitet von normalen Kartoffeln. Hier gibt es sowieso zu allem Kartoffeln: egal ob beim Gericht schon Teigwaren, Reis oder andere Knollen dabei ist, die zwei Salzkartoffeln, manchmal auch in Form von Bratkartoffeln, dürfen nie fehlen.


Schulausfall
Wovon wir immer vergeblich geträumt haben, ist für die bolivianischen Schüler Realität: freie Tage am laufenden Band. Besonders klar deutlich wird das Problem am Beispiel vergangener Woche.
Alles fing ganz unschuldig am Donnerstag, 22. Mai an: Corpus Christi (Fronleichnam). Am Freitag dann, traten die Lehrer in Streik für höhere Löhne, oder hätten wohl sowieso die Brücke gemacht. Folgt das Wochenende mit den Feierlichkeiten zum 25. Mai; und dann am Montag: frei, als Kompensation, weil der Feiertag auf einen Sonntag gefallen war. Am Dienstag war Muttertag. Unterricht? Fehlanzeige. Zu Ehren der Mütter wurden bolivianische Volkstänze dargeboten. Am Mittwoch machten sich erneut die Lohnforderungen der Lehrer deutlich. Und heute Donnerstag? Paro Civico, Generalstreik, nichts geht in ganz Sucre.
Man darf gespannt sein, ob die Kinder morgen endlich wieder mal zur Schule müssen.
Das ganze Szenario könnte an einer Schweizer Schule ja ganz amüsant und erholsam sein. Hier jedoch kommen Unterrichtsausfälle aus verschiedenen Gründen (Streiks, Demos, Tag des Kindes/Erde/Mutter/Vater/Meeres...) einfach zu häufig vor. Die Stundenzahl ist sowieso schon reduziert, da der Unterricht nur halbtags stattfindet. Das begünstigt die weitverbreitete und breit akzeptierte Kinderarbeit, behindert jedoch den schulischen Fortschritt. Das erste Semester neigt sich dem Ende zu, und meine Erstklässler kennen noch nicht einmal das halbe Alphabet, von den Zahlen ganz zu schweigen. 12 Jahre gehen die Kinder hier zur Schule, zweifelhaft ob sie den Kenntnissstand eines Neuntklässlers in der Schweiz erreichen. Dazu tragen natürlich auch mangelhaft ausgebildete Lehrpersonen und deren zweifelhafte Unterrichtsmethoden (Abschreiben, Auswendiglernen etc.), Desinteresse seitens der Eltern, ungeeignete Lehrmittel, Probleme auf Grund der Zweisprachigkeit Quechua-Spanisch, Konzentrationsschwierigkeiten, sowie schlicht und einfach fehlender Wille und Anstrengung bei.

Arbeitsbericht
Die Xenia arbeitet also in einem armen Quartier mit Kindern. Schön, aber was genau macht sie eigentlich dort?
Im Auftrag meiner obersten Chefin hatte ich einen Bericht über meine Tätigkeit im Schülermittagstisch zu verfassen, der den zukünftigen Freiwilligen einen Einblick in ihre zukünftige Tätigkeit geben soll. Für alle die sich schon immer gefragt haben, was ich denn dort oben in Villa Armonía so treibe, hier der Report in voller Länge. (Ja, hat auch mit Bequemlichkeit zu tun :)).

Meine Arbeit im Centro Juvenil/Comedor Escolar – ein kurzer Bericht

Meistens sind, wenn ich um kurz vor neun im Salón ankomme, schon einige Kinder da. Im Laufe des Vormittags kommen durchschnittlich 20 Kinder an, und zu Spitzenzeiten machen bis zu 40 Mädchen und Jungen ihre Hausaufgaben bei uns. Theoretisch zumindest. Praktisch jedoch üben die Puzzlespiele, das Mikado- und das Memoryspiel und die Bälle eine weitaus grössere Faszination auf die Kinder aus.
Meine Arbeit während der nächsten zweieinhalb Stunden besteht darin, hier etwas zu erklären, dort etwas zu helfen, Materialien (Bücher, Bleistifte, Scheren, usw.) auszuleihen, Prügeleien zu verhindern, Streit zu schlichten, zur Ruhe zu mahnen und vor allem einfach darauf zu achten, dass alle ihre Hausaufgaben erledigen. Obwohl das nicht immer einfach ist, da ich ja nicht weiss, was sie alles zu machen hätten.
Zwischen zehn und halb elf schicke ich einige Kinder los zur projekteigenen Bäckerei, dann gibt es für alle ein Brötchen und manchmal auch noch Tee.
Wer mit den Hausaufgaben fertig ist, darf spielen. Manchmal versuche ich mit den Kindern ein Spiel zu spielen, aber sobald es etwas ist, das sie nicht kennen und das Erklärung benötigt, ziehen sie es vor nach draussen spielen zu gehen oder müssen plötzlich alle ganz dringend aufs Klo. Bei „didaktisch wertvollen“ Spielen durchschauen sie auch immer ganz schnell, dass man da versucht ihnen etwas beizubringen und suchen das Weite. Leider.
Da ich im Moment die einzige Frewillige bin, die morgens im Centro Juvenil arbeitet, ist es schwierig etwas kreatives zu machen, da ich die meiste Zeit einfach damit beschäftigt bin, den normalen Betrieb aufrecht zu erhalten. So komme ich, sehr zu meinem Bedauern, auch nur selten dazu, mich den Erst- und Zweitklässlern zu widmen und mit ihnen Lesen zu üben – etwas, das dringend nötig wäre, da es tatsächlich solche gibt, die schon drei Jahre zur Schule gehen und noch immer an Wörtern wie „paloma“ hängen bleiben.
Um halb zwölf dann heisst es aufräumen und raus. Beim Vorbereiten der Tische kann ich meistens auf kleine Helfer zählen, die mit mir zusammen in Rekordzeit über hundert Tischsets, Löffel und Becher verteilen. Für das Aufräumen nach dem Essen müssen Besen und Scheuerlappen bereitgestellt werden, und draussen werden Becken und Eimer für den Abwasch mit Wasser gefüllt.
Vor dem grossen Ansturm bleibt meistens Zeit für eine kleine Verschnaufpause.
Aber dafür geht es dann um Viertel nach Zwölf so richtig los: die Türen des Comedor Escolar werden geöffnet und herein stürmen insgesamt gut hundert Kinder zwischen 5 und 15. Bis auch die letzten Trödler und Klatschtanten endlich im Comedor sind, vergeht allerdings geraume Zeit. Beim Überwachen des Händewaschens versuche ich zu verhindern, dass dasselbige in eine Wasserschlacht ausartet.
Wenn ein Grossteil der Kinder endlich an 12 Tischen verteilt auf ihren Plätzen sitzen, werden abwechslungsweise die älteren Jungen oder Mädchen gebeten, das Essen zu servieren. Nach einem kurzen Moment der Ruhe während des Gebets, wird endlich gegessen. Wir Freiwillige verteilen zuerst noch den Nachtisch (Früchte, Milchreis, Joghurt) und dürfen uns dann in der Küche selbst bedienen. Nach kaum einer Viertelstunde ist der Spuk vorbei, und es bleibt nur noch die Putz- und Aufräumarbeiten zu überwachen. Jeden Tag ist ein anderer Tisch damit beauftragt das Geschirr abzuwaschen, die Tische sauber zu machen oder den Raum zu kehren und zu fegen. Nach dem obligatorischen Zähneputzen, dessen absolute Kontrolle natürlich völlig unmöglich ist, können sich die Kinder noch bürsten, kämmen und frisieren und jetzt im Winter verteilen wir auch Feuchtigkeitscreme auf gewaschene Gesichter und Hände.
Um zwei ist meine Arbeit im Comedor zu Ende: alle haben ausgegessen, alles wurde abgewaschen, der Boden ist sauber und alle Kinder sind entweder auf dem Weg zur Schule oder nach Hause.

Sonntag, 11. Mai 2008

Vida cotidiana (Teil VIII)

Was lange auf sich warten liess ist endlich da (nein, ich rede nicht von diesem Blogeintrag): Alltagsroutine. Und wenn die aussergewöhnlichen Ereignisse abnehmen, nimmt die Geschwindigkeit der Zeit zu - zumindest gefühlsmässig.
Hier also ein weiterer Blog zum alltäglichen Leben in Sucre, Bolivien.

Andine Flora (Teil 2 von 4)
Wieso grosse Teile der bolivianischen Bevölkerung an Mangelernährung (Proteine) leiden, wird schwer verständlich, wenn man sieht, dass die traditionell angebauten Pflanzen so unglaublich nahrhaft sind. Aber eben: Kartoffeln und Teigwaren sind billiger und bilden daher die wichtigsten Nahrungsmittel der ärmeren Schichten, selten mit Gemüse oder Ei kombiniert, von Fleisch ganz zu schweigen.

Das wohl berühmteste Andenkorn zuerst: die Quinua. Bolivien ist mit 26.5 t der weltgrösste Produzent dieses Pseudogetreides (getreideähnliche Zusammensetzung, aber glutenfrei). Die Quinua ist ein typisches Altiplanogewächs, anspruchslos und kälteresistent und wächst problemlos auch auf 4.000 m.ü.M.
Gegessen werden die Körner gekocht (wie Reis) oder in Suppe. Aus Quinuamehl wird anscheinend sogar Brot gebacken, habe ich allerding noch nie gesehen. Kocht man das Mehl zusammen mit Zimt und Zucker auf, erhält man ein leckeres "Refresco" (Erfrischungsgetränk). Quinua wird auch gepufft und in Müslimischungen verwendet.
Die Quinuakörner weisen einen Proteingehalt zwischen 15 und 20% auf - mehr als das doppelte normaler Getreide. Sie sollen auch reich an Eisen, Kalzium und Fosfor sein. Und hat man erst ein mal die giftigen Saponine die in der Schale stecken abgewaschen, sind sie auch leicht verdaulich und gut bekömmlich :)
Kein Wunder steigt das Interesse an diesem super Korn in anderen Ländern (Europa, USA) an. Das fördert zwar den Export von Quinua, was den Anbauern zu Gute kommt, verteuert aber gleichzeitig das Produkt, so dass die Quinua immer seltener im bolivianischen Speiseplan auftaucht.

Eng verwandt mit der Quinua, ebenfalls aus der Familie der Fuchsschwanzgewächse, ist der Quimy (auch Amarant genannt). Wie auch die Quinua ist er sehr nährstoffreich, mit hohem Gehalt Aminosäuren, Eisen, Kalzium, Zink, etc. Die kleinen Körner habe ich bisher nur gepufft gegessen, sie besitzen einen leckeren nussiges Geschmack und machen sich gut im Birchermüesli :) Anscheinend sollen sogar die Astronauten der Nasa Quimy mit ins All genommen haben, da nichts sonst so leicht und gleichzeitig so gesund ist... Aber das könnte auch nur eine der üblichen unfundierten Geschichten meines Gastvaters sein.

Und schliesslich ist da auch noch der Tarwi. Der weisse bohnenartige Samen enthält 20% Fett und bis zu 40% Proteine, und wird deshalb oft mit der Sojabohne verglichen. Hier sehe ich Tarwi meistens als Snack auf der Strasse, obwohl ich persönlich den Geschmack, resp. dessen Fehlen, nicht so prickelnd finde. Neben dem Sack mit den Tarwis (siehe Fotos zu "Snacks unterwegs") haben die Verkäuferinnen immer auch Wasser, da die Bohnen mindestens einen Tag in Wasser eingeweicht werden müssen um die giftigen Alkaloide aus der Schale zu ziehen.
Auch püriert in Suppe habe ich Tarwi schon gegessen, das im Gegensatz schmeckt ganz gut, nussig und so.

Im Schulfrühstück, das an allen öffentlichen Schulen Sucres verteilt wird, erhalten die Kinder neben etwas, was sich "Milch" (Wasser mit Zucker mit Geschmacksstoffen mit Milch) nennt, anstelle von Brot abwechselnd auch Tarwi, Quimy-Kekse oder Quinua-Stäbchen.

Autonomía! Autonomía!
Am vergangenen Sonntag, 4. Mai, war es endlich soweit: in Santa Cruz fand die Abstimmung zum Autonomie-Statut statt. Erwartungsgemäss wurde die Vorlage, welche dem reichsten Departement Boliviens Vollmacht in fast allen Bereichen gewährt, mit überwiegender Mehrheit angenommen. Bis zu 85% der Cruceños (wahrscheinlicher: 70%) sollen SÍ gestimmt haben. Regierungstreue Medien sprechen jedoch von einer Wahlsabstinenz von über 50% (wahrscheinlicher: 30%), wenn es auch gerade militante MAS-Leute waren, die die Menschen am Zugang zu den Urnen hinderten und in einem Fall sogar ein Wahllokal anzündeten. Insgesamt wurden während des Abstimmungssonntags 28 Personen bei Auseinandersetzungen verletzt.
Die Regierung um Evo Morales bezeichnet sowohl die Vorlage als auch die Abstimmung als verfassungswidrig und illegal und will das Resultat ignorieren. Die Autonomisten würden das Land spalten wollen und überhaupt seien in Santa Cruz alles Oligarchen... (Oligarquía: Feindbild Nummer 1 von Evo)
In den übrigen Departementen der Media Luna (Tarija, Beni, Pando) stehen die Autonomieabstimmungen für Ende Juni an.
Es gibt wahrscheinlich kaum ein Land, in dem eine dezentralisierung so nötig ist wie in Bolivien. Zu gross sind die Gegensätze zwischen den drei Hauptregionen (Altiplano, Valles, Oriente) Boliviens, dass es ein Ding der Unmöglichkeit darstellt, das Land zentralistisch regieren zu wollen. Sich am uralten Modell des Zentralismus (man erinnere sich an das Reich der Inkas, mit dem absolutistischen "Inka" als Staatsoberhaupt) festhalten zu wollen, wird Bolivien keinen Schritt weiterbringen. Durch die Zerstrittenheit der Departemente unter sich, werden Regierungsreformen, auch wenn dieselbigen durchaus positiv sind, schon aus Prinzip in mindestens der Hälfte des Landes abgelehnt und blockiert, wenn die andere Hälfte ja sagt. Das ständige Kräftemessen verhindert ein Vorwärtsgehen und eine politische Entwicklung in einem Land, das nichts nötiger brauchte als Fortschritt und dessen Wahlspruch - absurderweise - "La Unión es la Fuerza" (Die Einheit ist die Kraft) ist.

Snacks unterwegs

Fotoreportage ;)

Man kommt nicht weit in Sucre ohne in Versuchung zu geraten etwas zu essen, zu trinken, zu lutschen oder zu knabbern. An jeder Ecke sind sie, die mini-Kioske, die Refrescostände, die Saftverkäufer, die Pommes Chips, die Popcorns, die Glaces, ... Sowieso scheint völlige Gewerbefreiheit zu herrschen: wer etwas zu verkaufen hat, schnappt sich eine Decke (aguayo) und sucht sich ein freies Plätzchen auf dem Trottoir. Das macht das Durchkommen auch nicht gerade einfacher, vor allem weil die Sucrenser sowieso immer extrem langsam dahin schlendern. (Ja, ich bin für die Einführung einer Mindestgeschwindigkeit auf Gehwegen!)
Mag das Geld auch noch so knapp sein, für etwas Süsses ist immer etwas übrig. So sehe ich auch die Kinder in meinem Projekt in kaputten Schuhen und zerrissenen Pullis mit einem Eis in der Hand rumlaufen.
[Wie beschrieb ein anderer Freiwilliger doch die Ernährungs/Gesundheitsmisere in Bolivien: schon früh kriegen sie viel Zucker, damit sie dann auch mal ihren Karies und ihre Diabetes bekommen; schon früh gibt man ihnen Ají und Locoto (scharf!!) zu essen, damit sie auch mal ihre Gastritis bekommen; schon früh nimmt man sie auf Feiern mit, damit sie lernen wie man sich ordentlich betrinkt und auch mal ihre Leberzirrhose bekommen und durch den Rauch auch mal an Lungenkrebs erkranken - kein Wunder liegt die Lebenserwartung bei gerde mal 62 (m) bzw. 67 (f) Jahren.]
Ein weiterer negativer Effekt der kleinen Snacks ist der Müll. Milchbeutel mit 80ml. Milch, Kekse in 4er Päckchen, Refrescos in Plastiktüten, ... Kombiniert mit der desaströsen Abfallkultur - jeder, vom Bauern bis zur Dozentin schmeisst seinen Müll dorthin, wo er gerade ist; besonders gerne durchs Busfenster - führen die Snacks unterwegs zu einer Verschmutzung der Stadt und zu Arbeitsbeschaffung für ein Heer von Strassenwischerinnen. Aber auch der Müll, der in den spärlichen Mülleimern landet wird bloss auf eine Freiluftmülldeponie gekippt und vom Wind in alle Himmelsrichtungen verstreut.
Trotzdem haben die Snacks auch etwas positives: sie sind eine wichtige Verdienstmöglichkeit für viele ungebildete arme Frauen und deren Familien.



ps: Die Fotos zum vorherigen Blog sind jetzt auch endlich online :)

Montag, 21. April 2008

Vida cotidiana (Teil VII)

Nachdem der Blog, den ich gestern in Stunden langer Arbeit (naja, fast..) geschrieben habe, spurlos verschwunden ist, hier ein neuer Versuch.
Siebter Teil meines Alltagslebens - zehn teile will ich schaffen. Die Zeit vergeht immer schneller, mit Schrecken wird mir bewusst, dass mir nur noch wenig mehr als vier Monate in Südamerika bleiben. Natürlich freue ich mich auch auf das Wiedersehen mit Familie und Freunden in der Schweiz, und auf die Aufnahme meines Studiums der Internationalen Beziehungen in Genf.

Mercado Canadá
Jeden Tag fuhr ich mindestens einmal am Markt im Barrio Canadá vorbei, und erfreute mich an den einfachen Markstständen und den bunten Gemüsen und Früchten, die dort zum Verkauf angeboten wurden. Bis dann eines Tages die aus Steinen, Holz und Blech gezimmerten Windschütze leer und verlassen dastanden: endlich waren die Verkäuferinnen ins schicke neue grosse Marktgebäude umgezogen. Nicht allen aber scheinen das feste Dach und die dicken Wände zu behagen, täglich scheinen mehr ihren Stand vor den Türen des protzigen Gebäudes aufzubauen - respektive ihre Waren auf den bunten Aguayo Tüchern zum Verkauf anzubieten.

Mercado Canadá


Andine Flora (Teil 1 von 4): Früchte
Gerade tropische Vielfalt herrscht in den Anden ja nicht, und wer das Altiplano als karge, steppenähnliche Landschaft vor sich sieht, liegt damit auch nicht falsch. Dennoch gibt es so einige Pflänzchen, Körner und Wurzeln die dort gedeihen.
Was die Früchte angeht, wachsen die wohl lieber in den Tälern zwischen den hohen Andengipfeln; auf 1500 bis 3000m.ü.M.

Da ist zum einen mal die Chirimoya, von Mark Twain anscheinend als "the most delicious fruit known to men" bezeichnet. Aussen grün, innen weiss, fleischig, weich, süss und unglaublich aromatisch. Als Mischung aus Banane, Erdbeere, Mango und Ananas beschrieben, schmeckt jede Frucht anders, aber immer gut. Ausser wenn sie überreif sind, dann nämlich beginnt der Zucker zu vergären und die Chirimoya wird ungeniessbar. Die Frucht wächst an Bäumen im (was ich) subtropisches Hochlandklima (nenne).
Heimisch ursprünglich in Ecuador, Bolivien und Peru, ist Spanien heute (mit über 80% der gesamten Produktion) der weltweit grösste Produzent von Chirimoya. Angebaut wird die Chirimoya auch in Italien, Griechanland, Israel, Ägypten, Algerien, Südafrika und Taiwan. Den Bauern hier fehlen Interesse, Knowhow und Exportmöglichkeiten - die Frucht reagiert empfindlich auf Druckstellen, und wer Boliviens Strassen (oder besser gesagt: Wege) kennt, versteht wieso die Chirimoyas hier meistens lokal konsumiert werden.
Auch gesund soll sie sein: viel Vitamin C, Phosphor, Eisen und was weiss ich sonst noch was. Ich sag ja immer: Hauptsache es schmeckt.

*sabber* Chirimoya

Chirimoyas

Ein weiteres liebgewonnenes Pflänzchen ist der Tumbo (Passiflora tarminiana, auf Deutsch anscheinend Curuba), die Frucht einer Lianenartigen Schlingpflanze aus der Familie der Passionsfruchtgewächse. Die kleinen, aussen grünen (unreif) bis gelben (reif) Früchte haben innen eine Vielzahl von orangem Fruchtfleisch umhüllter Kerne. Schmecken tun die würzig und eher säuerlich: kein grosser Hit zum so essen. Aber mit Wasser oder Milch und Zucker gemixt einer der leckersten "Licuados" überhaupt. Und die Tumbo-Glace - köstlich.
Übrigens: auch die Tumbopflanze wurde exportiert. Mit so grossem Erfolg, dass in Hawaii mittlerweile gezielt schädigende Pilze ausgesetzt werden um der der Invasion der Tumbos beizukommen :)

Tumbo

Und dann ist da noch die Tuna, die Frucht eines Kaktus. Dem behagt natürlich das trockene sonnige Klima sehr, und dass es in der Nacht mal ein bisschen kälter wird ist auch nicht weiter schlimm. Am besten isst man die Frucht eisgekühlt, wahrscheinlich etwas vom erfrischendsten was es gibt. Aussen haben die Tunas eine grüne oder orange-rote, leicht stachelige Schale; wers schlau macht, kauft die Tuna schon geschält. Innen kommen das saftige, süsse Fruchtfleisch und viele kleine schwarze Kerne zum Vorschein.

Tuna

So, ich will euch nicht länger "gluschtig" machen. Fortsetzung folgt! (Teil 2: Getreide&Co.)
[Danke an wikipedia für botanische und sonstige Infos und die Bilder]


Paris des Südens
Irgendwer soll irgendwann mal behauptet haben, Sucre sei das Paris des Südens. Weder mit der Grösse noch mit dem Einfluss Paris' kann die weisse Stadt mithalten, aber wir tun trotzdem unser Bestes. So stehen im Zentrum Sucres nicht nur zwei Obelisken und zwei Triumphbogen, nein, sogar einen mini-Eiffelturm nennt Sucre sein eigen. Ein Pantheon haben wir auch, obwohl dessen Vorbild ja bekanntlich in Rom steht.

Endlich da: die Fotos



Und hier noch das Graffiti des Monats:



Das wars für heute. Danke an alle die mir auch nach fast acht Monaten noch die Treue halten, und natürlich auch an alle die erst seit kurzem mitlesen. Der Blog war ursprünglich mal länger, aber alles noch ein zweites Mal zu schreiben hatte ich auch keine Lust. Dafür sollte der nächste Eintrag nicht mehr ganz so lange auf sich warten lassen.

Sonntag, 23. März 2008

Vida cotidiana (Teil VI)


Namensgebung
Was in den Orthografieproblemen bei alltäglichen Wörtern schon deutlich wird, ("Feliz Nabidad", "Se cargan Vaterias", "Se reciven pensionarios") zeigt sich auch bei der Namensgebung. In Häusern wo Bücher und Bildung fehlen, hat der Fernseher längst seinen festen Platz eingenommen. Und so werden beispielsweise die Kinder in Villa Armonía mit Namen von Schauspielern oder aus den beliebten Telenovelas bedacht. Wenn dann weder die Eltern noch der zuständige Notar in Fremdsprachen bewandert sind, ist das Resultat öfters ziemlich erheiternd. Hier einige Beispiele, von Kindern die ich in der Guardería oder im Comedor kennengelernt habe.
Da sind zum einen die "deutschen" Namen, auf die im gesamten deutschsprachigen Raum wohl schon lange niemand mehr getauft wird. Beymar, Elmer, Wilber, Edvin, Elgar, Oscar, etc.
Und dann natürlich die unvermeidlichen - sagen wir Entlehnungen aus dem - englischen: Jhosselin (ich kenne schon drei), Jhanet, Bady, Jhoni, Rous, Rosemery, etc.

Cabildo
Für 2009 ist die 200-Jahr-feier der bolivianischen Unabhängigkeit von Spanien angesagt. Dennoch hat sich in Bolivien ein Instrument aus der spanischen Kolonialzeit bewahrt: der "Cabildo" (der Diccionnaire meint "Stadtrat").
Die Räte (fragt mich bitte nicht wie die gewählt werden) aus verschiedenen zivilen Organisationen - da hat natürlich hier in Sucre die Universität ihre Finger ganz dick drin - können so Entscheide fällen, die zwar nicht "legal" im Sinne des Gesetzes sind, jedoch als "legitim" gelten, da damit dem Willen der gesamten Bevölkerung entsprochen werde.
Wenn also die Regierung in La Paz mal wieder nicht auf uns Sucrenser hören will [;)], was bleibt uns anderes übrig? Am 6. März (ja, natürlich unter der Woche, bekamen aber auch alle - ausser den Taxifahrern - frei) war also grosse Versammlung auf der Plaza angesagt. Von den gut 250'000 Einwohnern Sucres beteiligten sich allerdings gerade mal 10'000 Seelen am Cabildo. Traktandum war die Wahl eines Interimspräfekten, da der derzeitige MAS-Präfekt bei den Unruhen im November quasi davongejagt worden war und jegliche Unterstützung durch die Bevölkerung verloren hat.
Und dann die grosse Überraschung: zum ersten Mal in der Geschichte Chuquisacas wurde eine Frau ins höchste Amt des Departaments gewählt: Doña Sabina Cuéllar, Campesina (Kleinbäuerin vom Land), Quechua-sprachig und erst noch Anhängerin des MAS (Regierungspartei "Movimiento al Socialismo") - wenn sie auch von ihrer Partei ausgeschlossen wurde, nachdem sie sich im Kampf für die "Capitalía" auf die Seite Sucres/Chuquisacas gestellt hatte.
Klar war die Wahl in höchstem Masse strategisch: indem eine einfache Frau vom Land gewählt wurde, nahm man Evo Morales jeglichen Wind aus den Segeln um gegen die "Oligarchie" (sein Feindbild Nr.1) Sucres zu wettern.
Die Regierung war natürlich trotzdem nicht einverstanden mit dem neuesten Beweis aufmupfigen Verhaltens der Sucrenser.
Die Justizministerin meinte: “Lo acontecido este jueves en Sucre fue una dictadura cívica y que implica la comisión del delito de usurpación de la autoridad pública establecida” (Das am Donnerstag in Sucre vorgefallene war eine "zivile Diktatur" und beinhaltet das Begehen des Delikts des Missbrauchs der öffentlichen Autorität)
Und, wie könnte es anders sein ein böser Kommentar über Sabina: “se vendió a la oligarquía de Sucre, traicionó sus principios, a sus bases del área rural y a la democracia”. (Sie verkaufte sich an die Oligarchie Sucres, betrog ihre Prinzipien, ihre ländlichen Ursprünge und die Demokratie".
Einige Tage später dann die Nachricht aus La Paz: die Regierung anerkennt die Präfektin nicht und es wird auch keinerlei finanzielle Mittel für das Departement Chuquisaca mehr geben.

Semana Santa
Ja, es gibt sie noch: die kommerziell (fast gänzlich) unverdorbenen Feiern zu Tod&Auferstehung Jesus'. Wer in Sucre Ostereier oder Schokohasen haben will, muss suchen. Allerdings nicht das Nestchen, sondern die Verkaufsstände die solcherlei Sachen (importiert aus Argentinien, oder von den geschäftstüchtigen lokalen Schokoladenfabrikanten hergestellt) anbieten. Das wohl einzige Ostereier-Suchen der Stadt wurde vom Deutsch-Bolivianischen Kulturzentrum veranstaltet.
Das einzige was auf dem Markt (abgesehen von den vielen Menschen) auf Ostern hindeutete, waren die in rauen Mengen angebotenen Maiskolben und Kürbisse, welche zur Zubereitung des traditionellen Karfreitaggerichts "Locro" benötigt werden.
Am Freitag wurden also nach dem frühmorgendlichen Aufstieg auf den Hügel, beladen mit Steinen (um den Weg Christi, beladen mit Kreuz, zu symbolisieren), sämtliche Register der bolivianisch-vegetarianischen Kochkunst gezogen.
Der Samstag war ein normaler Samstag, so wie auch der Montag ein normaler Montag sein wird. Am Sonntag wäre eigentlich Lamm angesagt gewesen, was aber durch ein grosses Grillieren ersetzt wurde, zum Abschied meiner Gastschwester, die am Dienstag für zunächst zwei Jahre nach Argentinien geht.

Ñuqa qhishwata yachakushani - Ich lerne Quechua
Ja, endlich habe ich mit meinen Quechua-Stunden begonnen. Da ich mir anmasse Spanisch schon mehr oder weniger gut zu beherrschen, wurde es Zeit eine neue Herausforderung in Angriff zu nehmen. Und herausfordernd ist es wirklich: mit keiner anderen Sprache verwandt, stellt die Sprache des Inkareichs und der aktuellen bolivianischen Landbevölkerung gänzlich neue Anforderungen an Grammatikverständniss und Aussprache. Aber vielleicht ist es gerade das, was den Reiz ausmacht. Ausserdem möchte ich verstehen was im Radio erzählt wird, worüber die Leute im Bus sich unterhalten und vor allem was die Mütter, die in meinem Projekt vorbeikommen und mich mit einem Wortschwall überhäufen, eigentlich wollen (oder ihnen zumindest sagen können, dass ich nichts verstehe). Es gibt sie tatsächlich, die Leute die kaum bis gar nicht Spanisch sprechen. Auf dem Land klar, aber auch hier, an den Rändern Sucres, sind noch längst nicht alle zweisprachig. Wie auch, wenn sie oft nur einige wenige Jahre die Schule besucht haben und zu Hause ausschliesslich Quechua gesprochen wurde/wird?
So weit entfernt von allem was man kennt ist Quechua dann überraschenderweise manchmal doch gar nicht: das Verb "sprechen" beispielsweise ist "parlay" (vgl. frz. "parler", it. "parlare"). Sonntag ist Intichaw (Tag der Sonne), Montag Killachaw (Tag des Mondes) und Donnerstag Illapachaw (Tag des Donners) - wenn diese Namen auch im alltäglichen Gebrauch längst durch die spanischen Tagesbezeichnung ersetzt worden sind.

In diesem Sinne:
Tinkunakama

Bis zum nächsten Mal!

Freitag, 29. Februar 2008

Februarblog

Ja, meine Blogtitel können tatsächlich noch einfallsloser werden. Aber irgendwie passte "Vida cotidiana" diesmal nicht, schliesslich war im Februar ja auch Karneval angesagt.
Und weil dieser Monat trotz Schaltjahr einfach kürzer ist als alle andern, wird dies der einzige Blog dieses Monats bleiben (auf den letzten Drücker, ich weiss).

Katastrophenhilfe à la MAS
Von den schweren Überschwemmungen im Osten des Landes habe ich ja im letzten Blog schon berichtet. Von wohlmeinenden Nachbarländern wie Chile und Argentinien sind mittlerweile Nahrungsmittelspenden eingetroffen. Viele Hunderte (Tausende?) Menschen im Beni leben noch immer in improvisierten Zeltlagern, und immer wieder hört man von drohenden Seuchen.
Da bleibt einem doch glatt das Frühstücksbrot im Halse stecken, wenn man eines schönen Morgens in den nachrichten Bilder vom markt in La Paz sieht, wo eben diese gespendeten Lebensmittel (konkret: Reis) an die Bewohner der "Hauptstadt" verkauft werden - und zwar zur Hälfte des marktüblichen Preises. Dass sich die Leute in einer Zeit in der die Preise schier unaufhaltsam steigen (zumindest in Sucre - Verschwörungstheoretiker glauben ja an einen hinterhältigen Plan um die rebellischen Sucrenser auszubluten; aber das ist eine andere Geschichte) wie die Wilden auf die Säcke voller Reis - gross mit "Donación" angeschrieben - stürzten, ist ja durchaus verständlich. Was um alles in der Welt aber die Regierung dazu bewogen hat die Spenden anstatt an die notleidenden Hochwasserflüchtlinge an gesättigte Stadtbewohner zu verkaufen, darüber kann man rätseln. Was mir spontan einfällt ist die Media Luna: die Verbindung der vier (mittlerweile 6) Departamente des Tieflandes, die für mehr Autonomie kämpft und deshalb naturgemäss der aktuellen Regierung äusserst kritisch gegenüber steht. Die Paceños hingegen, vor allem der "indigene" Teil der Bevölkerung hingegen unterstützt die MAS (Movimiento al Socialismo - Bewegung zum Sozialismus) von Präsident Evo Morales. Ein kleines Dankeschön für treue Wählerschaft? Gut möglich, auch im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen der Präfekten. Was wohl mit den drei Tonnen Kleidern geschieht, die letzte Woche aus Taiwan eingetroffen sind? Denkbar, dass sie nie in den Zelten von Trinidad landen werden, sondern sich über kurz oder lang auf den sogenannten Mercados Americanos (Secondhand-Kleider aus den USA oder "Wer macht die bolivianische Textilindustrie zunichte...") finden lassen.


Der Klassiker oder: das Karnevalsdebakel
Pünktlich Anfang Februar, zum Beginn des Karnevals, verzogen sich die dicksten Wolken und zum Vorschein kam ein Himmel, der im Altiplano einfach blauer ist als sonst wo in der Welt. So war es dann glücklicherweise auch eher heiss als kalt, zumindest tagsüber, und die Wasserschlachten liessen sich besser ertragen. Da fragte man sich manchmal, was denn eigentlich die Hauptsache des Karnevals sei: den wunderschönen, vielfältigen, farbenprächtigen Umzug, mit Tausenden von TänzerInnen, alle in unglaublich aufwändigen Kostümen und zum Teil mit riesen Masken versehen, und Hunderten von Musikern zu sehen; oder versuchen die Zuschauer auf der gegenüber liegenden Bühne so nass wie nur möglich zu machen. Beliebt war auch der Einsatz von Schaum - grässlich parfümiert - mit Vorliebe ins Gesicht, da in weiser Voraussicht der Rest des Körpers mit einer Regenjacke geschützt war. Nach einem langen Tag auf den harten Holzbrettern der Tribüne wurde mir eine ebensolche Schaumattacke zum Verhängnis. Während ich auf meinen Gastbruder wartete, der nach drei Bier unglaublich dringend aufs Klo musste (Männer ;)), wurde ich von drei jungen Männern gleichzeitig mit Schaum vollgesprüht, und zwar gezielt in die Augen (das brennt...!) und Ohren. Natürlich versuchte ich mein Gesicht zu schützen und dachte "Karneval hin oder her, die übertreiben's aber!", aber als Gringa ist man nun mal immer ien willkommenes Ziel für derlei Scherze. Ich dachte nichts Böses dabei, bis ich einige Minuten später merkte, das mein Kameraetui verdächtig leicht und leer an meinem Gürtel baumelte. Hatten die es doch tatsächlich geschafft, mir meine Kamera zu klauen und so war ich also tatsächlich doch Opfer des Klassikers geworden - am Karneval von Oruro ausgeraubt zu werden. Die Stadt hat auch während des Jahres unter Bolivianern den Ruf der "Hauptstadt der Diebe" und sonstiger Krimineller, nicht zuletzt wegen ihrer günstigen Lage nahe der Grenze zu Chile, was Drogen- und sonstigem Schmuggel Tür und Tor öffnet.
Wieso ich den Raub beschreibe? Als Rechtfertigung und Entschuldigung dafür, dass ich leider kein einziges Bild des Karnevals habe, die Speicherkarte war voll, aber da ich die zweite nicht dabei hatte, liess ich sie in der Kamera drin.
Die Anzeige und mehrmaliges Nachfragen bei der Polizei blieb erfolglos: sogar wenn sie die Kamera gefunden haben/hätten, ist/wäre es dank horrenden Korruptionsraten mehr als wahrscheinlich, dass irgendein Polizeibeamter sie behalten oder seinerseits weiterverkauft hat. Dass sie mir am Telefon aber sagten "Nein, wir haben keine einzige Kamera gefunden, nur Fernseher" fand ich dann aber doch leicht übertrieben. Schliesslich kennt ja jeder Bewohner Oruros den "Mercado Chino", Heimathafen von Schmuggler-, Fälscher-, und Diebstahlsware jeglicher Couleur.


Und so wurde bis jetzt noch nichts aus all meinen schönen geplanten Mini-Fotoreportagen. Bald (hoffe ich zumindest) sollte aber aus La Paz meine neue Kamera (Versicherung sei dank ist der Schaden gedeckt) eintreffen und dann kann mich nichts mehr halten :)

Arbeitsleben
Nach meinem mehr oder eher weniger freiwilligen Engagement in der Kinderkrippe (man stelle sich das bitte einmal vor - ich und kleine, heulende "Schnudergofe") meines Projektes bin ich jetzt wieder im Comedor mit Hausaufgabenbetreuung beschäftigt. Eine Arbeit die mir viel besser gefällt und auch deutlich näher liegt als Kleinkinder zu füttern. Ganz so friedlich fröhlich bin ich dabei aber auch nicht, vor allem da von irgendwo her sechs Zweitklässler aufgetaucht sind, die absolut bis kaum lesen und schreiben können. Nicht einmal Mama kriegen sie hin, oder können ein A nicht von einem O unterscheiden. Man mag ja gegen das Sitzenbleiben sagen was man will, und eigentlich bin ich ja auch einverstanden damit, dass in der Primarschule niemand sitzenbleiben sollte (bolivianische Erziehungsreform), aber was diese Jungs in der zweiten Klasse verloren haben, ist mir schleierhaft. Ob die Ehrenrunde eine Lösung sein kann, bleibt ebenfalls fragwürdig: gibt es doch diesen Jungen der nun schon das dritte Jahr in der zweiten Klasse verbringt oder den anderen der schätzungsweie auch schon mindestens zwei Jahre in der ersten verbracht hat (allerdings immer noch nicht lesen kann). Ob Klassengrössen von 40 Kindern in mehr als bildungsfernen Quartieren gerade angemessen sind... ich glaube nicht.
Wie so etwas möglich ist, machte mir jener Morgen deutlich, als ich zusammen mit der Sozialarbeiterin des Projekts einige Familien zu Hause besuchte. Hatte ich gedacht die Menschen hier seien ja gar nicht sooo arm, wurde ich eines besseren belehrt: sie sind halt einfach schon verdammt arm. Nicht arm wie in afrikanischen Flüchtlingslagern, brasilianischen Favelas oder indischen Slums; aber eindeutig arm. Der Zweck unseres Besuches war, festzustellen, welche Kinder gratis essen dürfen und welche zu bezahlen haben. Oder: die Ärmsten von den Armen zu unterscheiden. Fünf, sechs, sieben Kinder, zwei oder drei Zimmer, höchstens ebensoviele Betten, Boden: Erde, Mauern: Lehm, Dach: Wellblech, fliessend Wasser? Negativ. Von Kühlschrank, Herd und Badezimmer reden wir besser gar nicht erst. Schulbildung der Eltern: keine, oder höchstens bis zur dritten Klasse. Lesen und Schreiben? Knapp den Namen. Beruf der Mutter: Hausfrau Beruf des Vaters: Bauarbeitergehilfe. Monatliches Einkommen: 500, vielleicht 1000 Bs. (80-160CHF) Das reicht selbst in einem so billigen Land wie Bolivien nicht weit, schon gar nicht mit so vielen Kindern. Zuviel zum Sterben, zu wenig zum Leben - und so überleben die Menschen von Tag zu Tag, in einer dumpfen Routine, ohne Aussicht oder Hoffnung die Armut je hinter sich zu lassen. Da geht manchmal sogar das Interesse für die Zukunft, sprich Bildung, der eigenen Kinder verloren. Wie soll es auch existieren, wenn diese Menschen Bildung doch höchstens dem Namen nach kennen und selber nie eine Chance darauf hatten.

Halbjahresbericht
Ja, ich bin nun schon über ein halbes Jahr in Bolivien. Konkret: es geht nicht mehr so lange wie auch schon bis ich in die Schweiz zurückkehre. Obwohl ich natürlich sehr froh bin, dass mir noch fast ein halbes Jahr hier bleibt.
Bilanz ziehen? Habe ich eigentlich keine grosse Lust dazu. Nur soviel: es war ein gutes halbes Jahr, ich habe viel gelernt und bereue (abgesehen vom Verlust meiner Kamera) nichts, aber ich weiss, das zweite halbe Jahr wird noch viel besser werden ;).
Höhepunkte? Meine ersten beiden kleinen Reisen, aber auch sonst viele kleine Dingelchen des Alltags und als konstanter Höhepunkt (geht das?) das Glück, das ich mit meiner super netten Gastfamilie habe. Der Wechsel des Projekts war eine gute Sache, ebenso wie die Gitarrenstunden und die Fortschritte im Spanisch.
Was bevorsteht? Arbeit :), meine grosse Reise im Juni/Juli, Quechua lernen und unendlich vieles mehr!

Donnerstag, 31. Januar 2008

Lektion 2

Meteorologie
Ja, während in der Schweiz Schnee liegt und es so richtig schön kalt ist herrscht hier Sommer. Theoretisch zumindest. Praktisch liegen die Temperaturen nämlich zur Zeit meistens näher bei 10 als bei 20 Grad, vom andauernden Regen ganz zu schweigen. Der letzte schöne, sommerlich warme Tag war am 18. Januar - zwei Wochen her. Da würde ich fast so weit gehen zu schwören mich nie, nie mehr über den Schweizer "Sommer" zu beklagen... aber das wäre dann doch übertrieben.
Ob nun "El Niño" oder "La Niña" oder ganz einfach Petrus an der derzeitigen Wettermisere Schuld sind, darüber herrscht Uneinigkeit (und ich als meteorologisches Unschuldskind will mich auch zu keiner Aussage hinreissen lassen). Sicher ist aber, dass der Regen nicht spurlos am Land vorbeigegangen ist. Vor allem in den Tiefland Departamenten Beni und Santa Cruz ist es zu zum Teil schweren Überschwemmungen durch über die Ufer getretene Flüsse gekommen; über 120'000 Menschen sind obdachlos oder können nicht in ihre Häuser zurückkehren, mehr als 45 Personen sollen bereits ums Leben gekommen sein. Dazu kommen die landwirtschaftlichen Schäden, die schon über einer halber Milliarde US-$ liegen. Da die Strasse zwischen Santa Cruz und La Paz durch Erdrutsche so gut wie unpassierbar gemacht wurde, werden die Schäden nicht nur durch die simple Zerstörung der Ernten generiert, sondern auch durch die Unmöglichkeit die Produkte, welche in hunderten Camions auf ihre Exportation warten, ausser Landes zu bringen.
Auch in anderen Teilen des Landes bekommt man das zu spüren: die Erhöhung der Lebensmittelpreise rein auf die Inflation abzuschieben klappt mittlerweile nicht mehr.

[Quelle: http://www.ansa.it/ansalatina/notizie/rubriche/amlat/20080131190434585710.html ]

Kultur
Ich hoffe ihr knabbert alle brav Fasnachtschüechli, denn dieses Wochenende ist Karneval angesagt (nicht gewusst?). Der hat zumindest hier in Sucre schon vor ca. drei Wochen angefangen, mit der alten Tradition, der gegenüber die meisten wohl eine Art Hass-Liebe empfinden. "Mojar" (nassmachen), mit Wasserballons und Wasserpistolen, aus fahrenden Autos, Bussen, aus Hausfenstern oder einfach so von Angesicht zu Angesicht. Wer? Alle von 5 bis 20. Wen? Ausnahmslos alle, ohne jegliche Anzeichen von Rücksichtsnahme. Und wenn du einen Wasserballon an deinen Rücken kriegst bist du nass, so richtig nass.
Zwei Dingen ist es zu verdanken, dass das nicht so oft vorkommt: einerseits war es wegen dem dauernden Regen den meisten Kindern wohl zu doof die eh schon +/- nassen Leute nass zu machen, und zweitens haben die meisten eine eher miese Treffsicherheit.
Das Karnevalswochenende (von Freitag Mittag bis Dienstag Abend ist hier Feiertag) werde ich am weltberühmten, UNESCO-gekrönten Karneval von Oruro verbringen [Bericht folgt].

(Die Karnevalsspezialität von Sucre sind übrigens Konfites: Mandeln, Erdnüsse oder Kokosstücke umhüllt von einer dicken Schicht aus Zucker und Fett)

Wirtschaft
Von was lebt den Sucre eigentlich? Eine gute Frage... Da ist einerseits "La U", die mächtige, alles beherrschende Universität. Andererseits Fancesa, das grösste Zementwerk Boliviens. Ausserdem haben wir Salvietti, eine Süssgetränkfabrik und die diversen Schokoladenhersteller.
Die Universität lässt neue Gebäude bauen, die Studenten müssen wohnen, essen, schlafen, shoppen und werden somit zum Herz, zum Lebensmotor der Stadt. Nie wird das deutlicher bewusst als jetzt, während der Semesterferien, wo nicht nur Busse und Strassen leerer sind als sonst, sondern auch diverse Geschäfte gleich ganz geschlossen bleiben.
Dazu kommen die Arbeitsstellen in Verwaltung, Sicherheit, Transport etc. und ein zaghaft wachsender Tourismus.
Aber eine richtige Wirtschaftsgrundlage fehlt, was wohl der Grund ist, weshalb Sucre nicht so richtig wächst und die Stadt im nationalen Vergleich immer weiter hinten liegt als beispielsweise La Paz, Cochabamba und die Boomtown Santa Cruz. Und was wohl mit ein Grund ist, wieso die Sucrenser im vergangenen Jahr so verbissen dafür kämpften den Regierungssitz nach Sucre zu holen - um endlich einen Schritt nach vorne zu machen.

Orthografie
Ja, das mit der Rechtsschreibung ist so eine Sache. Vor allem wenn zwei Konsonanten (fast) gleich ausgesprochen werden: das kleine und das grosse B, oder "v" und "b".
Der Klassiker ist wohl die oft an Hauswänden angebrachte Schrift "No votar basura" (Nicht den Müll wählen) anstelle von "No botar basura" (Keinen Müll hinwerfen). Das geht bis zu einer äusserst hübschen, wahrscheinlich von der Gemeindeverwaltung in Auftrag gegebenen, Wandmalerei an der Plaza in Yotala...
Die "Acientos" (richtig: asientos) welche vor dem Karneval zum Verkauf standen, kosteten zwar 100 Bs. (cien=hundert), boten aber nur Platz für eine Person.

"LOTE EИ VEИTA" (Liegenschaft zum Verkauf) eines meiner Lieblingsgraffitis an denen ich Tag für Tag vorbei fahre. Hier lag die Krux für einmal nicht bei b und v, sondern bei der Ausrichtung des Ns.

Kann man den Menschen einen Vorwurf machen? Kaum. Wenn schon ein Schuldiger gefunden werden muss, dann das bolivianische Schulsystem, bei dem wohl so mancher nach 12 Jahren Schule noch immer nicht sicher ist ob es jetzt "baca" oder "vaca" (Kuh) heisst. Wenn er denn die gesamte Schulzeit abgesessen hat, und nicht schon früher durch die Lebensumstände gezwungen wurde auf der Strasse Geld zur Unterstützung seiner Familie zu verdienen. Kinderarbeit ist in Bolivien keineswegs verboten, im Gegenteil, sie wird durch Stundenpläne (entweder nachmittags oder morgens Unterricht) begünstigt und von der Bevölkerung akzeptiert.