Freitag, 30. Mai 2008

Vida cotidiana (Teil IX)


Das tägliche Leben in Sucre geht weiter, nicht mehr lange allerdings. Die Reisezeit ab Mitte Juni kommt mit riesen Schritten näher.

25 de Mayo 1809 - 25 de Mayo 2008
Am 25. Mai 1809 nahm die sogenannte Revolution von Chuquisaca, die 1825 endlich zur Unabhängigkeit Boliviens führte, in Sucre ihren Anfang. Am 25. Mai 2008 wurde der 199. Jahrestags des "Primer Grito de la Libertad", des ersten Rufs nach Freiheit gefeiert. Wie auch schon beim historischen Ereignis, spielten die Studenten der Universität San Francisco eine wichtige Rolle bei den feiern, oder besser gesagt bei dem, was aus den Feiern wurde. Evo Morales hatte für den Samstag, 24. Mai, seinen Besuch angekündigt, um den Gemeinden des Departements von Spanien geschenkte Ambulanzen zu überreichen und neue Bauprojekte vorzustellen. Die Sucrenser, immer noch auf eine Entschuldigung für die beiden Toten vom November pochend, wollten das auf keinen Fall zulassen. Evos Anhänger aus den ländlichen gebieten reisten dennoch an, um ihrem Präsidenten zu zu jubeln und um ihre Geschenke in Empfang zu nehmen. Wie genau es zur Eskalation kam, ist unklar. Anscheinend hatte jemand unter den demonstrierenden Studentetn die Nachricht verbreitet, dass Campesinos in Azari Abra (Vorstadtquartier) auf Studenten einschlagen würden. Der wütende Mob fuhr hin und schnappte sich die - absolut friedlichen - Campesinos; liess sie Hemden ausziehen und trieb sie vor sich her durchs Zentrum Sucres. Auf der Plaza wurden sie gezwungen sich hinzuknien und die Nationalhymne zu singen, während die Studenten ihre Flagge, die Wiphala, verbrannten.
Das war er also, der so oft erwähnte Rassismus in Bolivien. Nicht wie bei uns gegen Ausländer, sondern ganz einfach gegen Menschen die ein wenig mehr Inkablut und ein bisschen weniger spanisches in sich haben, die ärmer leben und härter arbeiten.
Auch wenn sich die Bevölkerung Sucres grössten Teils einig ist, dass es die Studenten dieses Mal eindeutig zu weit getrieben haben, tauchen sofort auch Verschwörungstheorien auf, von wegen die Masistas (Anhänger von Evo Morales' MAS Partei) selbst hätten diesen Akt von Entwürdigung durchgeführt um die Studenten in Misskredit zu bringen.

Fast schneller als die Presse reagieren in solchen Fällen die Graffitischreiber Sucres:
"Visite Sucre, Cuna del Racismo" (Besuchen Sie Sucre, Wiege des Rassismus.) Abwandlung des Werbespruchs "Sucre, Cuna de la Libertad" (Sucre, Wiege der Freiheit)
"Sucre, Capital plena del Racismo" (Sucre, Hauptstadt des Rassismus) In Anspielung auf die Forderung der Sucrenser wieder Hauptstadt Boliviens zu sein.
"Humillar Campesinos no es de Cristianos" (Campesinos zu erniedrigen ist unchristlich)
Und schliesslich: "Las paredes se callarán cuando la prensa diga la verdad" (Die Wände werden schweigen, wenn die Presse die Wahrheit sagt)


Andine Flora (Teil 3 von 4) - Knollen
Über 300 verschiedene Arten von Kartoffeln soll es in Bolivien geben. Uns sollen heute jedoch nur drei ganz besondere Knollen interessieren.
Die berühmteste vorweg: der Chuño. Der Name stammt aus dem Quechua ch'uñu und bedeutet zerknittert, vertrocknet.

Ja, das kleine schwarze Ding ist tatsächlich eine Kartoffel, oder war zumindest einmal eine. Im Hochland Boliviens und Perus werden die Kartoffeln in den kalten Nächten draussen ausgebreitet, wo sie gefrieren. Tagsüber dann werden sie von der unbarmherzigen Sonne getrocknet. Um auch das letzte Quäntchen Wasser rauszupressen, werden die Kartoffeln mit den Füssen gestampft. Der Prozess wird drei Tage und drei Nächte lang durchgeführt, um schliesslich eine kleine, gefriergetrocknete Kartoffel zu erhalten, die ohne besonderen Aufwand jahrelang haltbar bleibt.
Wenn man sich dann schliesslich entschliesst die Kartoffel doch endlich zu essen, lässt man sie zuerst über Nacht einweichen und zieht ihr dann die Schale mehr schlecht als recht ab. Chuños werden in Bolivien oft in Suppen verwendet, manchaml auch als Beilage zu Fleisch, immer kombiniert mir normalen Kartoffeln. Man mag sie oder man mag sie nicht. Der nussige Geschmack und die seltsame Konsistenz, oder ganz einfach das Wissen um ihren Herstellungsprozess, sind nicht jedermanns Sache.

Nummer zwei in meiner Auswahl ist die Papa Lisa. Die kleinen, bunten (rot-orange oder gelb-grün) Kartöffelchen sind im gesamten südamerikanischen Andengebiet (Pleonasmus?) verbreitet, und werden überwiegend auf 3000 bis 4000 m.ü.M. angebaut.

Obwohl einfach zu pflanzen, gibt es mehrere Faktoren, die eine weitere Verbreitung der Papa Lisa verhindern. Zum einen hat es bisher noch niemand versucht, sie maschinell zu ernten, dann braucht sie eine Reifezeit von 7 bis 8 Monaten (normale Kartoffel: 4 bis 5) und schliesslich ist sie auch noch speziell anfällig für Pflanzenviren.
Die Papa Lisa wird in Bolivien zumeist als Ají de Papa Lisa gegessen: gemischt mit Fleisch, Erbsen und gewöhnlichen Kartoffeln wird sie leicht zerstampft und mit einer +/- scharfen Chilisauce serviert. Der Geschmack ist erdig und vor allem der Duft während des Kochens erinnert an Randen.

Zu guter letzt war da noch die Oca.

Glaubt man Wikipedia, kommt die Papa Oca aus der Familie der Sauerkleegewächse. Wie auch die beiden anderen Knollen wird sie auf 3000 bis 4000 m.ü.M. angebaut. Anscheinend ist sie nach der gemeinen Kartoffel die am zweithäufigsten kultivierte Pflanze im andinen Altiplano.
Ihr Geschmack ist säuerlich bis süsslich und gegessen wird sie als Beilage zu Fleisch, immer begleitet von normalen Kartoffeln. Hier gibt es sowieso zu allem Kartoffeln: egal ob beim Gericht schon Teigwaren, Reis oder andere Knollen dabei ist, die zwei Salzkartoffeln, manchmal auch in Form von Bratkartoffeln, dürfen nie fehlen.


Schulausfall
Wovon wir immer vergeblich geträumt haben, ist für die bolivianischen Schüler Realität: freie Tage am laufenden Band. Besonders klar deutlich wird das Problem am Beispiel vergangener Woche.
Alles fing ganz unschuldig am Donnerstag, 22. Mai an: Corpus Christi (Fronleichnam). Am Freitag dann, traten die Lehrer in Streik für höhere Löhne, oder hätten wohl sowieso die Brücke gemacht. Folgt das Wochenende mit den Feierlichkeiten zum 25. Mai; und dann am Montag: frei, als Kompensation, weil der Feiertag auf einen Sonntag gefallen war. Am Dienstag war Muttertag. Unterricht? Fehlanzeige. Zu Ehren der Mütter wurden bolivianische Volkstänze dargeboten. Am Mittwoch machten sich erneut die Lohnforderungen der Lehrer deutlich. Und heute Donnerstag? Paro Civico, Generalstreik, nichts geht in ganz Sucre.
Man darf gespannt sein, ob die Kinder morgen endlich wieder mal zur Schule müssen.
Das ganze Szenario könnte an einer Schweizer Schule ja ganz amüsant und erholsam sein. Hier jedoch kommen Unterrichtsausfälle aus verschiedenen Gründen (Streiks, Demos, Tag des Kindes/Erde/Mutter/Vater/Meeres...) einfach zu häufig vor. Die Stundenzahl ist sowieso schon reduziert, da der Unterricht nur halbtags stattfindet. Das begünstigt die weitverbreitete und breit akzeptierte Kinderarbeit, behindert jedoch den schulischen Fortschritt. Das erste Semester neigt sich dem Ende zu, und meine Erstklässler kennen noch nicht einmal das halbe Alphabet, von den Zahlen ganz zu schweigen. 12 Jahre gehen die Kinder hier zur Schule, zweifelhaft ob sie den Kenntnissstand eines Neuntklässlers in der Schweiz erreichen. Dazu tragen natürlich auch mangelhaft ausgebildete Lehrpersonen und deren zweifelhafte Unterrichtsmethoden (Abschreiben, Auswendiglernen etc.), Desinteresse seitens der Eltern, ungeeignete Lehrmittel, Probleme auf Grund der Zweisprachigkeit Quechua-Spanisch, Konzentrationsschwierigkeiten, sowie schlicht und einfach fehlender Wille und Anstrengung bei.

Arbeitsbericht
Die Xenia arbeitet also in einem armen Quartier mit Kindern. Schön, aber was genau macht sie eigentlich dort?
Im Auftrag meiner obersten Chefin hatte ich einen Bericht über meine Tätigkeit im Schülermittagstisch zu verfassen, der den zukünftigen Freiwilligen einen Einblick in ihre zukünftige Tätigkeit geben soll. Für alle die sich schon immer gefragt haben, was ich denn dort oben in Villa Armonía so treibe, hier der Report in voller Länge. (Ja, hat auch mit Bequemlichkeit zu tun :)).

Meine Arbeit im Centro Juvenil/Comedor Escolar – ein kurzer Bericht

Meistens sind, wenn ich um kurz vor neun im Salón ankomme, schon einige Kinder da. Im Laufe des Vormittags kommen durchschnittlich 20 Kinder an, und zu Spitzenzeiten machen bis zu 40 Mädchen und Jungen ihre Hausaufgaben bei uns. Theoretisch zumindest. Praktisch jedoch üben die Puzzlespiele, das Mikado- und das Memoryspiel und die Bälle eine weitaus grössere Faszination auf die Kinder aus.
Meine Arbeit während der nächsten zweieinhalb Stunden besteht darin, hier etwas zu erklären, dort etwas zu helfen, Materialien (Bücher, Bleistifte, Scheren, usw.) auszuleihen, Prügeleien zu verhindern, Streit zu schlichten, zur Ruhe zu mahnen und vor allem einfach darauf zu achten, dass alle ihre Hausaufgaben erledigen. Obwohl das nicht immer einfach ist, da ich ja nicht weiss, was sie alles zu machen hätten.
Zwischen zehn und halb elf schicke ich einige Kinder los zur projekteigenen Bäckerei, dann gibt es für alle ein Brötchen und manchmal auch noch Tee.
Wer mit den Hausaufgaben fertig ist, darf spielen. Manchmal versuche ich mit den Kindern ein Spiel zu spielen, aber sobald es etwas ist, das sie nicht kennen und das Erklärung benötigt, ziehen sie es vor nach draussen spielen zu gehen oder müssen plötzlich alle ganz dringend aufs Klo. Bei „didaktisch wertvollen“ Spielen durchschauen sie auch immer ganz schnell, dass man da versucht ihnen etwas beizubringen und suchen das Weite. Leider.
Da ich im Moment die einzige Frewillige bin, die morgens im Centro Juvenil arbeitet, ist es schwierig etwas kreatives zu machen, da ich die meiste Zeit einfach damit beschäftigt bin, den normalen Betrieb aufrecht zu erhalten. So komme ich, sehr zu meinem Bedauern, auch nur selten dazu, mich den Erst- und Zweitklässlern zu widmen und mit ihnen Lesen zu üben – etwas, das dringend nötig wäre, da es tatsächlich solche gibt, die schon drei Jahre zur Schule gehen und noch immer an Wörtern wie „paloma“ hängen bleiben.
Um halb zwölf dann heisst es aufräumen und raus. Beim Vorbereiten der Tische kann ich meistens auf kleine Helfer zählen, die mit mir zusammen in Rekordzeit über hundert Tischsets, Löffel und Becher verteilen. Für das Aufräumen nach dem Essen müssen Besen und Scheuerlappen bereitgestellt werden, und draussen werden Becken und Eimer für den Abwasch mit Wasser gefüllt.
Vor dem grossen Ansturm bleibt meistens Zeit für eine kleine Verschnaufpause.
Aber dafür geht es dann um Viertel nach Zwölf so richtig los: die Türen des Comedor Escolar werden geöffnet und herein stürmen insgesamt gut hundert Kinder zwischen 5 und 15. Bis auch die letzten Trödler und Klatschtanten endlich im Comedor sind, vergeht allerdings geraume Zeit. Beim Überwachen des Händewaschens versuche ich zu verhindern, dass dasselbige in eine Wasserschlacht ausartet.
Wenn ein Grossteil der Kinder endlich an 12 Tischen verteilt auf ihren Plätzen sitzen, werden abwechslungsweise die älteren Jungen oder Mädchen gebeten, das Essen zu servieren. Nach einem kurzen Moment der Ruhe während des Gebets, wird endlich gegessen. Wir Freiwillige verteilen zuerst noch den Nachtisch (Früchte, Milchreis, Joghurt) und dürfen uns dann in der Küche selbst bedienen. Nach kaum einer Viertelstunde ist der Spuk vorbei, und es bleibt nur noch die Putz- und Aufräumarbeiten zu überwachen. Jeden Tag ist ein anderer Tisch damit beauftragt das Geschirr abzuwaschen, die Tische sauber zu machen oder den Raum zu kehren und zu fegen. Nach dem obligatorischen Zähneputzen, dessen absolute Kontrolle natürlich völlig unmöglich ist, können sich die Kinder noch bürsten, kämmen und frisieren und jetzt im Winter verteilen wir auch Feuchtigkeitscreme auf gewaschene Gesichter und Hände.
Um zwei ist meine Arbeit im Comedor zu Ende: alle haben ausgegessen, alles wurde abgewaschen, der Boden ist sauber und alle Kinder sind entweder auf dem Weg zur Schule oder nach Hause.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Bin sehr erstaunt,dass Du mit so vielen Kindern klarkommst.Das ist sicher nicht immer einfach.Freue mich für Dich auf Deine grosse Reise und Deinen nächsten Blog.
Es Grüssli von Muttern