Montag, 9. Juni 2008

Vida cotidiana (Teil X)

Juhu, ich habe es tatsächlich auf zehn Teile "Vida cotidiana" gebracht. Gut, dass ich bald reise, sonst hätte das glatt noch langweilig werden können...

Flora Andina - Wunderpflänzchen (Teil 4 von 4)

Dass in den Anden so allerlei interessantes wächst, habe ich bereits in den letzten drei Teilen (ja, ich bin Fan von Serien) klar gemacht. Dann gibt es da aber auch so einige berühmt berüchtigte Blättchen, Wurzeln und Früchtchen, deren Wirkung weiter geht.

Die berühmteste wie immer zuerst: die Coca. Und nein, das unscheinbare Blatt selber ist keine Droge. Souvenir T-Shirts verkünden es "La hoja de Coca no es droga", auch wenn insbesondere die amerikanische Regierung alles daransetzte, alle genau das glauben zu lassen und während Jahren in den Krieg gegen die bolivianischen Cocaleros (Coca-Bauern) zog. Der Effekt davon ist das Gesetzt 1008, welches die zum Cocaanbau bestimmte Fläche einschränkt. Irgendwie logisch, dass eine der ersten Amtshandlungen Evo Morales' war, dieses Gesetz (zumindest teilweise) für nichtig zu erklären und zu versprechen die Cocaanbaufläche innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln.
Aus Cocablättern wird vor allem Tee (Mate de Coca) hergestellt, der ähnlich wie Grüntee schmeckt und wirkt und gegen die Höhenkrankheit wirkt. Häufiger jedoch als getrunken wird Coca gekaut: aus grossen Säcken verkaufen die Marktfrauen getrocknete Cocablätter, die zusammen mit Asche gekaut werden und Müdigkeit, Kälte und Hunger vergessen lassen. Kein Buschauffeur ohne "Bola" (Kugel) in der Wange, kein Taxifahrer ohne Cocablätter im Handschuhfach und schon gar kein Minenarbeiter ohne seine Coca. Neben Kalzium, Eisen und Vitaminen enthalten die Cocablätter auch Koffein und, ja, Kokain.
Geschichten von jungen Männern die für einige Zeit im Chapare Coca geerntet hätten und so ein Vermögen gemacht hätten werden immer wieder gerne erzählt. Auch da anscheinend nur die Coca aus den Yungas (Tiefland bei La Paz) nicht aber die aus dem Chapare (Tiefland bei Cochabamba) zum Kauen geeignet sei.
Einfach anzubauen und garantiert hohe Erträge: schwer es den Bauern zu verübeln, dass sie sich nicht mit dem Anbau von Alternativprodukten abmühen. Eine Lösung könnte die Legalisierung der Coca sein, um sie als Inhaltsstoff von Kosmetikprodukten und Zahnpasta oder als Basis für Nahrungsergänzungsmittel&Co. verwenden und vor allem diese Produkte dann auch exportieren zu können. Nicht das Ausgangsprodukt ist das Problem, sondern das Endprodukt, was wohl leider grösstenteils immer noch Kokain ist.

Coca Blatt


Je nach Quelle "Ginseng Andino" (Ginseng der Anden) oder "Viagra Andina" genannt, ist die Maca-Wurzel das Wunderpflänzchen schlechthin. Kaum endenwollend ist die Liste der positiven Wirkungen der Maca: Leistungssteigernd, Antidepressivum, Potenzfördernd, Antianämikum, Stärkung des Immunsystems, etc.
Kein Wunder kann die Maca so viel, hält ja auch selber eine ganze Menge aus. Die Pflanze wächst auf 4000 bis 5000 m.ü.M., wo sie extremer Kälte, starker Soneneinstrahlung und kräftigen Winden ausgesetzt ist.
Verkauft wird Maca in Pillenform oder geröstet und gemahlen als leicht bitter schmeckendes Pulver. Auch Güetzi und Getreideriegel mit Maca in der Zutatenliste habe ich schon gesehen.

Maca Wurzel

Vorsicht, scharf! Der Locoto kann zwar auf den ersten Blick aussehen wie eine zu klein geratene Peperoni (mal abgesehen von den auffällig schwarzen Kernen), doch spätestens der erste Bissen lässt den Irrtum klar und die Suche nach Wasser dringend werden. Schaaaaaaarf! Die Pflanze aus der Familie der Paprikagewächse ist ein beliebtes "Gewürz" in der bolivianischen Küche und wird beinahe täglich gegessen. Während die ganz harten Kerle sich Locoto Würfelchen pur ins Sandwich oder die Suppe packen, wird der Locoto meistens in Form von Llajua konsumiert: im Mahlstein zusammen mit Tomate (und ohne Samen - sonst wird es selbst den Bolivianern zu scharf) gemahlen und mit ein bisschen Salz gewürzt, fertig ist der etwas andere Ketchup :)
Llajua steht immer auf dem Tisch, ob zu Reis, Kartoffeln, Ei, Fleisch oder gar Fisch. Anerkanntermassen schmeckt sie besser auf traditionelle Art zubereitet als aus dem Mixer, Llajua Konserven hatten bisher noch keinen Erfolg. Sehr wohl aber kriegt man in den Pollo Fast Food Schuppen neben Mayonese immer auch Llajua in kleine Säckchen abgefüllt, und angeblich hat es die Llajua sogar ins Menü von Burger King Bolivia (McDonalds gibt es im ganzen Land keinen einzigen!) geschafft.



Mahlstein "Batán"

Die Chagas Krankheit
Ein typisches Beispiel einer Krankheit, die vor allem die armen Menschen betrifft. Übertragen wird der Erreger dieser Krankheit durch den Biss einer Raubwanze (vinchuca), die mit Vorliebe in Lehmwänden und Strohdächern lebt. Also genau so, wie auch die Mehrheit der bolivianischen Landbevölkerung und immer noch viele Leute an den Stadträndern leben. In Bolivien könnte bis zu einem Viertel der Bevölkerung mit dem Erreger infiziert sein, oft unwissend. Auch in meinem Projekt kenne ich einige Kinder, die Chagas haben...
Nach der akuten Phase mit Symptomen wie Fieber, Bauchschmerzen und Durchfall schlummert der Erreger für 20 oder 30 Jahre vor sich hin und der Kranke ist symptomfrei. Dann kommt es in ca. einem Viertel der Fälle zur chronischen Phase, die im Endeffekt zum Tod durch Herzvergrösserung oder Darmdurchbruch führt.
Impfung oder Vorbeugung gegen die Chagas Krankheit gibt es nicht, heilbar ist sie auch nicht. Erhältlich sind einzig Medikamente, die in der akuten Phase angewendet werden können, um die Wahrscheinlichkeit eines dereinstigen Übergangs in die chronische Phase zu reduzieren. Diese sind jedoch hoch giftig und weisen viele und starke Nebenwirkungen auf.
Klar, wieso sollten die Pharmakonzerne denn ein Interesse daran haben, ein Medikament zu erforschen und zu produzieren, dass die Patienten, die kaum genug zum (Über-)Leben haben, sowieso nicht bezahlen könnten?
Vorbeugende Massnahmen zur Verhinderung der Infektionen wären nicht schwer: Häuser die weder aus Lehm noch aus Stroh gebaut sind, separate Unterkünfte für Haus- und Nutztiere, Verbesserung der sanitären Einrichtungen. Doch in Sucre baut man lieber Parks und richtet WiFi auf der Plaza ein (ja, echt vortschrittlich!), als endlich die armen Vorortquartiere an die Kanalisation und ans fliessende Wasser anzuschliessen und die Behausungen der Menschen zu verbessern.


Suri Sikuri
Der Tanz der an die Jagd der Ñandues (Südamerikanischer Vogel Strauss) erinnert. Suri ist Ñandú in Aymara und Sikuri sind die Flötenspieler, welche den Vogel mit ihren Klängen anlockten. Ein Tanz noch aus den Zeiten vor der Ankunft der Spanier, ein Tanz der auch heute noch im Karneval oder bei folkloristischen Umzügen in Bolivien getanzt wird. Ein Tanz, den auch ich tanzen kann :)
Wie genau sie es geschafft hat mich dazu zu überreden, dass ich tanze, weiss ich nicht. Tatsache ist aber, dass ich gestern zusammen mit meiner Gastschwester und einer Auswahl von Studenten aus der Fakultät für Erziehungswissenschaften tanzend durch halb Sucre gezogen bin. Sehr zur Freude natürlich der Zuschauer: "Mira, la Gringuita está bailando" (Schau, die Weisse tanzt) und "Vamos, Gringuita, vamos!".
Während knapp 10 Tagen war jeden Abend zwei Stunden üben angesagt, und jetzt im Nachhinein kann ich nur schwer verstehen wie ich mir die Schritte zu beginn beim besten Willen nicht merken konnte.
Glaubt ihr nicht? Würde ich auch nicht, deshalb zum Beweis einige Fotos. Videos gibt es leider nicht, aber man hat ja Youtube (die Melodie ist schon mal eine, die ich unzählige Male gehört habe, wenn auch der Tanz irgendwie anders aussieht - die Bühne ist halt nicht die Strasse).




Die Erfahrung war die schmerzenden Füsse alle mal wert! :)


1 Kommentar:

Ki hat gesagt…

Super gemacht! Seit einer halben Stunde sitze ich da und lausche der südamerikanischen Musik. Ich habe immer gedacht, du hättest, genau so wie ich, ein Gelenk zu wenig, um tanzen zu können. Stimmt ja gar nicht. Melden uns am Wochenende.