Sonntag, 11. Mai 2008

Vida cotidiana (Teil VIII)

Was lange auf sich warten liess ist endlich da (nein, ich rede nicht von diesem Blogeintrag): Alltagsroutine. Und wenn die aussergewöhnlichen Ereignisse abnehmen, nimmt die Geschwindigkeit der Zeit zu - zumindest gefühlsmässig.
Hier also ein weiterer Blog zum alltäglichen Leben in Sucre, Bolivien.

Andine Flora (Teil 2 von 4)
Wieso grosse Teile der bolivianischen Bevölkerung an Mangelernährung (Proteine) leiden, wird schwer verständlich, wenn man sieht, dass die traditionell angebauten Pflanzen so unglaublich nahrhaft sind. Aber eben: Kartoffeln und Teigwaren sind billiger und bilden daher die wichtigsten Nahrungsmittel der ärmeren Schichten, selten mit Gemüse oder Ei kombiniert, von Fleisch ganz zu schweigen.

Das wohl berühmteste Andenkorn zuerst: die Quinua. Bolivien ist mit 26.5 t der weltgrösste Produzent dieses Pseudogetreides (getreideähnliche Zusammensetzung, aber glutenfrei). Die Quinua ist ein typisches Altiplanogewächs, anspruchslos und kälteresistent und wächst problemlos auch auf 4.000 m.ü.M.
Gegessen werden die Körner gekocht (wie Reis) oder in Suppe. Aus Quinuamehl wird anscheinend sogar Brot gebacken, habe ich allerding noch nie gesehen. Kocht man das Mehl zusammen mit Zimt und Zucker auf, erhält man ein leckeres "Refresco" (Erfrischungsgetränk). Quinua wird auch gepufft und in Müslimischungen verwendet.
Die Quinuakörner weisen einen Proteingehalt zwischen 15 und 20% auf - mehr als das doppelte normaler Getreide. Sie sollen auch reich an Eisen, Kalzium und Fosfor sein. Und hat man erst ein mal die giftigen Saponine die in der Schale stecken abgewaschen, sind sie auch leicht verdaulich und gut bekömmlich :)
Kein Wunder steigt das Interesse an diesem super Korn in anderen Ländern (Europa, USA) an. Das fördert zwar den Export von Quinua, was den Anbauern zu Gute kommt, verteuert aber gleichzeitig das Produkt, so dass die Quinua immer seltener im bolivianischen Speiseplan auftaucht.

Eng verwandt mit der Quinua, ebenfalls aus der Familie der Fuchsschwanzgewächse, ist der Quimy (auch Amarant genannt). Wie auch die Quinua ist er sehr nährstoffreich, mit hohem Gehalt Aminosäuren, Eisen, Kalzium, Zink, etc. Die kleinen Körner habe ich bisher nur gepufft gegessen, sie besitzen einen leckeren nussiges Geschmack und machen sich gut im Birchermüesli :) Anscheinend sollen sogar die Astronauten der Nasa Quimy mit ins All genommen haben, da nichts sonst so leicht und gleichzeitig so gesund ist... Aber das könnte auch nur eine der üblichen unfundierten Geschichten meines Gastvaters sein.

Und schliesslich ist da auch noch der Tarwi. Der weisse bohnenartige Samen enthält 20% Fett und bis zu 40% Proteine, und wird deshalb oft mit der Sojabohne verglichen. Hier sehe ich Tarwi meistens als Snack auf der Strasse, obwohl ich persönlich den Geschmack, resp. dessen Fehlen, nicht so prickelnd finde. Neben dem Sack mit den Tarwis (siehe Fotos zu "Snacks unterwegs") haben die Verkäuferinnen immer auch Wasser, da die Bohnen mindestens einen Tag in Wasser eingeweicht werden müssen um die giftigen Alkaloide aus der Schale zu ziehen.
Auch püriert in Suppe habe ich Tarwi schon gegessen, das im Gegensatz schmeckt ganz gut, nussig und so.

Im Schulfrühstück, das an allen öffentlichen Schulen Sucres verteilt wird, erhalten die Kinder neben etwas, was sich "Milch" (Wasser mit Zucker mit Geschmacksstoffen mit Milch) nennt, anstelle von Brot abwechselnd auch Tarwi, Quimy-Kekse oder Quinua-Stäbchen.

Autonomía! Autonomía!
Am vergangenen Sonntag, 4. Mai, war es endlich soweit: in Santa Cruz fand die Abstimmung zum Autonomie-Statut statt. Erwartungsgemäss wurde die Vorlage, welche dem reichsten Departement Boliviens Vollmacht in fast allen Bereichen gewährt, mit überwiegender Mehrheit angenommen. Bis zu 85% der Cruceños (wahrscheinlicher: 70%) sollen SÍ gestimmt haben. Regierungstreue Medien sprechen jedoch von einer Wahlsabstinenz von über 50% (wahrscheinlicher: 30%), wenn es auch gerade militante MAS-Leute waren, die die Menschen am Zugang zu den Urnen hinderten und in einem Fall sogar ein Wahllokal anzündeten. Insgesamt wurden während des Abstimmungssonntags 28 Personen bei Auseinandersetzungen verletzt.
Die Regierung um Evo Morales bezeichnet sowohl die Vorlage als auch die Abstimmung als verfassungswidrig und illegal und will das Resultat ignorieren. Die Autonomisten würden das Land spalten wollen und überhaupt seien in Santa Cruz alles Oligarchen... (Oligarquía: Feindbild Nummer 1 von Evo)
In den übrigen Departementen der Media Luna (Tarija, Beni, Pando) stehen die Autonomieabstimmungen für Ende Juni an.
Es gibt wahrscheinlich kaum ein Land, in dem eine dezentralisierung so nötig ist wie in Bolivien. Zu gross sind die Gegensätze zwischen den drei Hauptregionen (Altiplano, Valles, Oriente) Boliviens, dass es ein Ding der Unmöglichkeit darstellt, das Land zentralistisch regieren zu wollen. Sich am uralten Modell des Zentralismus (man erinnere sich an das Reich der Inkas, mit dem absolutistischen "Inka" als Staatsoberhaupt) festhalten zu wollen, wird Bolivien keinen Schritt weiterbringen. Durch die Zerstrittenheit der Departemente unter sich, werden Regierungsreformen, auch wenn dieselbigen durchaus positiv sind, schon aus Prinzip in mindestens der Hälfte des Landes abgelehnt und blockiert, wenn die andere Hälfte ja sagt. Das ständige Kräftemessen verhindert ein Vorwärtsgehen und eine politische Entwicklung in einem Land, das nichts nötiger brauchte als Fortschritt und dessen Wahlspruch - absurderweise - "La Unión es la Fuerza" (Die Einheit ist die Kraft) ist.

Snacks unterwegs

Fotoreportage ;)

Man kommt nicht weit in Sucre ohne in Versuchung zu geraten etwas zu essen, zu trinken, zu lutschen oder zu knabbern. An jeder Ecke sind sie, die mini-Kioske, die Refrescostände, die Saftverkäufer, die Pommes Chips, die Popcorns, die Glaces, ... Sowieso scheint völlige Gewerbefreiheit zu herrschen: wer etwas zu verkaufen hat, schnappt sich eine Decke (aguayo) und sucht sich ein freies Plätzchen auf dem Trottoir. Das macht das Durchkommen auch nicht gerade einfacher, vor allem weil die Sucrenser sowieso immer extrem langsam dahin schlendern. (Ja, ich bin für die Einführung einer Mindestgeschwindigkeit auf Gehwegen!)
Mag das Geld auch noch so knapp sein, für etwas Süsses ist immer etwas übrig. So sehe ich auch die Kinder in meinem Projekt in kaputten Schuhen und zerrissenen Pullis mit einem Eis in der Hand rumlaufen.
[Wie beschrieb ein anderer Freiwilliger doch die Ernährungs/Gesundheitsmisere in Bolivien: schon früh kriegen sie viel Zucker, damit sie dann auch mal ihren Karies und ihre Diabetes bekommen; schon früh gibt man ihnen Ají und Locoto (scharf!!) zu essen, damit sie auch mal ihre Gastritis bekommen; schon früh nimmt man sie auf Feiern mit, damit sie lernen wie man sich ordentlich betrinkt und auch mal ihre Leberzirrhose bekommen und durch den Rauch auch mal an Lungenkrebs erkranken - kein Wunder liegt die Lebenserwartung bei gerde mal 62 (m) bzw. 67 (f) Jahren.]
Ein weiterer negativer Effekt der kleinen Snacks ist der Müll. Milchbeutel mit 80ml. Milch, Kekse in 4er Päckchen, Refrescos in Plastiktüten, ... Kombiniert mit der desaströsen Abfallkultur - jeder, vom Bauern bis zur Dozentin schmeisst seinen Müll dorthin, wo er gerade ist; besonders gerne durchs Busfenster - führen die Snacks unterwegs zu einer Verschmutzung der Stadt und zu Arbeitsbeschaffung für ein Heer von Strassenwischerinnen. Aber auch der Müll, der in den spärlichen Mülleimern landet wird bloss auf eine Freiluftmülldeponie gekippt und vom Wind in alle Himmelsrichtungen verstreut.
Trotzdem haben die Snacks auch etwas positives: sie sind eine wichtige Verdienstmöglichkeit für viele ungebildete arme Frauen und deren Familien.



ps: Die Fotos zum vorherigen Blog sind jetzt auch endlich online :)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hey Xeni!
Ha eigentlich nume mal wölle schribe, dass i geng no ä Fan vo dim Blog bi :-)
Hoffe dier geits guet?

Ganz liebi Grüäss us der Schwiz
Jeannette

Anonym hat gesagt…

Hallo Line,
das ist wieder mal ein sehr interessanter Blog,vor allem für die gesundheitsbewussten.Nun weiss ich endlich was ich anfangen kann mit dem unbekannten Getreide aus Italien.
Ein lieber Gruss von Mam