Donnerstag, 6. September 2007

¡Esto es Sucre, Sucre se respecta!

"¿Sucre? Ah, tranquilo, muy tranquilo." - versicherten mir zumindest mehrere Personen. Und trotzdem befinde ich mich in der momentan unruhigsten Stadt Boliviens. Doch lasst uns von vorne beginnen...

Wie alles begann
Es begab sich aber vor langer, langer Zeit im Jahre 1899 ein Bürgerkrieg in Bolivien. Aus dem Pazifikkrieg gegen Chile (bei dem Bolivien seinen Zugang zum Meer verlor) waren zwei Gruppen hervorgegangen: die kriegerischen "guerristas" mit Sitz in La Paz und die friedlichen"conservistas" in Sucre. Es kam wie es kommen musste, zum bereits erwähnten Bürgerkrieg, aus welchem die "Paceños" siegreich hervorgingen. Seither befindet sich sowohl die Legislative, wie auch die Exekutive nicht mehr in der eigentlichen Hauptstadt Sucre, sondern in La Paz. Den "Sucrenses" verblieb einzig der oberste Gerichtshof.

¡La sede se mueve!
Gegenwärtig tagt in Sucre die Asamblea Constitucional, deren Aufgabe der Entwurf einer neuen Verfassung ist. Eine Verfassungsänderung ist die einzige Chance für Sucre wieder vollwertige Hauptstadt "Capital plena" zu werden.
Am 15. August jedoch gab die Regierung ein Dekret heraus, das die Streichung der Hauptstadtfrage von der Tagesordnung der Asamblea verlangte. Die Constituyentes nahmen das Dekret an. Und seither ist in Sucre nichts mehr mit "tranquilo".

!Democracia sí, dictadura no!
Denn natürlich geht es nicht, dass sich die Regierung in die Belange der unabhängigen Asamblea einmischt. Was die Sucrenser wollen, ist nicht unbedingt wieder volle Hauptstadt zu werden (auch wenn sie daran durchaus Gefallen fänden, ist das doch ein Entwicklungsgarant für die Region, wie das Beispiel La Paz zeigt), nein, momentan geht es ihnen in erster Linie darum, Gehör zu finden bei der Regierung. Auf dass diese ihr Dekret zurückzieht und die Hauptstadtfrage wieder auf der Tagesordnung auftaucht. Wenn sich die Asamblea dann doch für La Paz entscheidet, so würde die Bevölkerung von Sucre das akzeptieren, versicherte mir meine Gastschwester Soraya.

Beinahe jeden Tag gab (und gibt) es Demonstrationen, doch die Regierung zeigt sich nicht verhandlungsbereit. Der Präfekt von Sucre, Angehöriger der Regierungspartei MAS, ist aus Frustration über die fehlende Reaktion bereits zurückgetreten. Und so versammeln sich die Studenten, Dozenten, Mitarbeiter der Verwaltung und sonstige Sympathisanten nicht vor der Präfektur, sondern vor dem Teatro Gran Mariscal, wo die verfassungsgebende Versammlung tagt. Die Demonstrationen ("Marchas") verlaufen friedlich: Fackelumzüge mit Sprechchören und Gesang. Hin und wieder eine Petarde oder ein bisschen Dynamit, man will sich ja schliesslich Gehör verschaffen. Das einzige was neben den Fackeln brannte, waren alte Autoreifen (wohlgemerkt: keine Autos angezündet, keine Scheiben eingeschlagen!). Dennoch setzte die Polizei gestern nacht erneut Gummischrot und Tränengas ein: pikanterweise mitten in der Stadt, vor dem Spital Santa Barbara.

Zusätzlich zu den Demonstrationen befinden sich mehrere hundert Menschen seit teilweise über 10 Tagen im Hungerstreik. Heute gibt es zudem kein Durchkommen ins Stadtzentrum mehr (zumindest nicht mit dem Auto): überall wurden sogenannte Bloqueos errichtet. Vor dem Teatro findet eine "Vigilia" (Wache) statt.

Esto es Sucre


Ausserdem sind heute noch die Campesinos, Bauern, angekommen um für die Regierung zu demonstrieren. Bisher kam es aber zu keinen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppen. Inwiefern die Campesinos wissen wofür sie demonstrieren, ist unklar: man erzählt, dass einige von der Regierung bezahlt wurden um nach Sucre zu fahren; andere wiederum folgen blind den Anweisungen des Dorfoberhauptes.

Keine Sorge, ich bin brav zu Hause. Als ich nämlich gestern zusammen mit Soraya die Demo beobachtete, sprach mich plötzlich jemand an (wer kennt mich denn hier?!). Es war Walter, der Chef von ICYE Bolivien, und er schien alles andere als erfreut zu sein mich dort zu sehen. Was wenn ich wie geplant im Umzug mitgelaufen wäre? Prompt klingelte heute morgen das Telefon und Oscar, ICYE-Verantwortlicher für Sucre, verpasste mir quasi Hausarrest.

Wie sagten sie doch im Camp? "Wenn die Politik interessiert, ist Bolivien das perfekte Land für dich." Und wenn nicht, wird sie dich sehr bald doch interessieren. Weil du nämlich unversehens mitten drin steckst.

*sing* Capitalía plena, dumdidumdidum */sing*

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

richtig was los im heissblüetige sucre im verglich zur mondstadt :P ig bi erstunt, wie relaxed du das erzählsch, aso e chli närvekitzel ufde strasse muesch ja fasch verspürt ha?!
wenn beginnt dis projekt? scho öbbis drüber ghört? liebe grüess..!

Anonym hat gesagt…

Liebe Xiguline,bin doch etwas erstaunt über das tohu wabohu das bei euch zur Zeit herrscht.Hoffe doch sehr,dass du dich an ALLE Anweisungen hälst und zu Hause bleibst,wenn man es dir rät.Weiss ja wie cool du bist,aber ich wäre beruhigter.Lau ist in Venedig,hoffe sie hat es schön.Verdient hätte sie es.Wann beginnst du zu arbeiten?Hast du nun ein Projekt?Bei uns ist alles o.k.Veronika ist ziemlich ausgebucht.Ihre Arbeitskollegen nehmen sie in Beschlag.Nun weiss ich langsam,was sie gerne isst.Vor allem scharf oder pikant muss es sein.Toller Beitrag übrigens.Bis bald
Love Mam