Freitag, 29. Februar 2008

Februarblog

Ja, meine Blogtitel können tatsächlich noch einfallsloser werden. Aber irgendwie passte "Vida cotidiana" diesmal nicht, schliesslich war im Februar ja auch Karneval angesagt.
Und weil dieser Monat trotz Schaltjahr einfach kürzer ist als alle andern, wird dies der einzige Blog dieses Monats bleiben (auf den letzten Drücker, ich weiss).

Katastrophenhilfe à la MAS
Von den schweren Überschwemmungen im Osten des Landes habe ich ja im letzten Blog schon berichtet. Von wohlmeinenden Nachbarländern wie Chile und Argentinien sind mittlerweile Nahrungsmittelspenden eingetroffen. Viele Hunderte (Tausende?) Menschen im Beni leben noch immer in improvisierten Zeltlagern, und immer wieder hört man von drohenden Seuchen.
Da bleibt einem doch glatt das Frühstücksbrot im Halse stecken, wenn man eines schönen Morgens in den nachrichten Bilder vom markt in La Paz sieht, wo eben diese gespendeten Lebensmittel (konkret: Reis) an die Bewohner der "Hauptstadt" verkauft werden - und zwar zur Hälfte des marktüblichen Preises. Dass sich die Leute in einer Zeit in der die Preise schier unaufhaltsam steigen (zumindest in Sucre - Verschwörungstheoretiker glauben ja an einen hinterhältigen Plan um die rebellischen Sucrenser auszubluten; aber das ist eine andere Geschichte) wie die Wilden auf die Säcke voller Reis - gross mit "Donación" angeschrieben - stürzten, ist ja durchaus verständlich. Was um alles in der Welt aber die Regierung dazu bewogen hat die Spenden anstatt an die notleidenden Hochwasserflüchtlinge an gesättigte Stadtbewohner zu verkaufen, darüber kann man rätseln. Was mir spontan einfällt ist die Media Luna: die Verbindung der vier (mittlerweile 6) Departamente des Tieflandes, die für mehr Autonomie kämpft und deshalb naturgemäss der aktuellen Regierung äusserst kritisch gegenüber steht. Die Paceños hingegen, vor allem der "indigene" Teil der Bevölkerung hingegen unterstützt die MAS (Movimiento al Socialismo - Bewegung zum Sozialismus) von Präsident Evo Morales. Ein kleines Dankeschön für treue Wählerschaft? Gut möglich, auch im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen der Präfekten. Was wohl mit den drei Tonnen Kleidern geschieht, die letzte Woche aus Taiwan eingetroffen sind? Denkbar, dass sie nie in den Zelten von Trinidad landen werden, sondern sich über kurz oder lang auf den sogenannten Mercados Americanos (Secondhand-Kleider aus den USA oder "Wer macht die bolivianische Textilindustrie zunichte...") finden lassen.


Der Klassiker oder: das Karnevalsdebakel
Pünktlich Anfang Februar, zum Beginn des Karnevals, verzogen sich die dicksten Wolken und zum Vorschein kam ein Himmel, der im Altiplano einfach blauer ist als sonst wo in der Welt. So war es dann glücklicherweise auch eher heiss als kalt, zumindest tagsüber, und die Wasserschlachten liessen sich besser ertragen. Da fragte man sich manchmal, was denn eigentlich die Hauptsache des Karnevals sei: den wunderschönen, vielfältigen, farbenprächtigen Umzug, mit Tausenden von TänzerInnen, alle in unglaublich aufwändigen Kostümen und zum Teil mit riesen Masken versehen, und Hunderten von Musikern zu sehen; oder versuchen die Zuschauer auf der gegenüber liegenden Bühne so nass wie nur möglich zu machen. Beliebt war auch der Einsatz von Schaum - grässlich parfümiert - mit Vorliebe ins Gesicht, da in weiser Voraussicht der Rest des Körpers mit einer Regenjacke geschützt war. Nach einem langen Tag auf den harten Holzbrettern der Tribüne wurde mir eine ebensolche Schaumattacke zum Verhängnis. Während ich auf meinen Gastbruder wartete, der nach drei Bier unglaublich dringend aufs Klo musste (Männer ;)), wurde ich von drei jungen Männern gleichzeitig mit Schaum vollgesprüht, und zwar gezielt in die Augen (das brennt...!) und Ohren. Natürlich versuchte ich mein Gesicht zu schützen und dachte "Karneval hin oder her, die übertreiben's aber!", aber als Gringa ist man nun mal immer ien willkommenes Ziel für derlei Scherze. Ich dachte nichts Böses dabei, bis ich einige Minuten später merkte, das mein Kameraetui verdächtig leicht und leer an meinem Gürtel baumelte. Hatten die es doch tatsächlich geschafft, mir meine Kamera zu klauen und so war ich also tatsächlich doch Opfer des Klassikers geworden - am Karneval von Oruro ausgeraubt zu werden. Die Stadt hat auch während des Jahres unter Bolivianern den Ruf der "Hauptstadt der Diebe" und sonstiger Krimineller, nicht zuletzt wegen ihrer günstigen Lage nahe der Grenze zu Chile, was Drogen- und sonstigem Schmuggel Tür und Tor öffnet.
Wieso ich den Raub beschreibe? Als Rechtfertigung und Entschuldigung dafür, dass ich leider kein einziges Bild des Karnevals habe, die Speicherkarte war voll, aber da ich die zweite nicht dabei hatte, liess ich sie in der Kamera drin.
Die Anzeige und mehrmaliges Nachfragen bei der Polizei blieb erfolglos: sogar wenn sie die Kamera gefunden haben/hätten, ist/wäre es dank horrenden Korruptionsraten mehr als wahrscheinlich, dass irgendein Polizeibeamter sie behalten oder seinerseits weiterverkauft hat. Dass sie mir am Telefon aber sagten "Nein, wir haben keine einzige Kamera gefunden, nur Fernseher" fand ich dann aber doch leicht übertrieben. Schliesslich kennt ja jeder Bewohner Oruros den "Mercado Chino", Heimathafen von Schmuggler-, Fälscher-, und Diebstahlsware jeglicher Couleur.


Und so wurde bis jetzt noch nichts aus all meinen schönen geplanten Mini-Fotoreportagen. Bald (hoffe ich zumindest) sollte aber aus La Paz meine neue Kamera (Versicherung sei dank ist der Schaden gedeckt) eintreffen und dann kann mich nichts mehr halten :)

Arbeitsleben
Nach meinem mehr oder eher weniger freiwilligen Engagement in der Kinderkrippe (man stelle sich das bitte einmal vor - ich und kleine, heulende "Schnudergofe") meines Projektes bin ich jetzt wieder im Comedor mit Hausaufgabenbetreuung beschäftigt. Eine Arbeit die mir viel besser gefällt und auch deutlich näher liegt als Kleinkinder zu füttern. Ganz so friedlich fröhlich bin ich dabei aber auch nicht, vor allem da von irgendwo her sechs Zweitklässler aufgetaucht sind, die absolut bis kaum lesen und schreiben können. Nicht einmal Mama kriegen sie hin, oder können ein A nicht von einem O unterscheiden. Man mag ja gegen das Sitzenbleiben sagen was man will, und eigentlich bin ich ja auch einverstanden damit, dass in der Primarschule niemand sitzenbleiben sollte (bolivianische Erziehungsreform), aber was diese Jungs in der zweiten Klasse verloren haben, ist mir schleierhaft. Ob die Ehrenrunde eine Lösung sein kann, bleibt ebenfalls fragwürdig: gibt es doch diesen Jungen der nun schon das dritte Jahr in der zweiten Klasse verbringt oder den anderen der schätzungsweie auch schon mindestens zwei Jahre in der ersten verbracht hat (allerdings immer noch nicht lesen kann). Ob Klassengrössen von 40 Kindern in mehr als bildungsfernen Quartieren gerade angemessen sind... ich glaube nicht.
Wie so etwas möglich ist, machte mir jener Morgen deutlich, als ich zusammen mit der Sozialarbeiterin des Projekts einige Familien zu Hause besuchte. Hatte ich gedacht die Menschen hier seien ja gar nicht sooo arm, wurde ich eines besseren belehrt: sie sind halt einfach schon verdammt arm. Nicht arm wie in afrikanischen Flüchtlingslagern, brasilianischen Favelas oder indischen Slums; aber eindeutig arm. Der Zweck unseres Besuches war, festzustellen, welche Kinder gratis essen dürfen und welche zu bezahlen haben. Oder: die Ärmsten von den Armen zu unterscheiden. Fünf, sechs, sieben Kinder, zwei oder drei Zimmer, höchstens ebensoviele Betten, Boden: Erde, Mauern: Lehm, Dach: Wellblech, fliessend Wasser? Negativ. Von Kühlschrank, Herd und Badezimmer reden wir besser gar nicht erst. Schulbildung der Eltern: keine, oder höchstens bis zur dritten Klasse. Lesen und Schreiben? Knapp den Namen. Beruf der Mutter: Hausfrau Beruf des Vaters: Bauarbeitergehilfe. Monatliches Einkommen: 500, vielleicht 1000 Bs. (80-160CHF) Das reicht selbst in einem so billigen Land wie Bolivien nicht weit, schon gar nicht mit so vielen Kindern. Zuviel zum Sterben, zu wenig zum Leben - und so überleben die Menschen von Tag zu Tag, in einer dumpfen Routine, ohne Aussicht oder Hoffnung die Armut je hinter sich zu lassen. Da geht manchmal sogar das Interesse für die Zukunft, sprich Bildung, der eigenen Kinder verloren. Wie soll es auch existieren, wenn diese Menschen Bildung doch höchstens dem Namen nach kennen und selber nie eine Chance darauf hatten.

Halbjahresbericht
Ja, ich bin nun schon über ein halbes Jahr in Bolivien. Konkret: es geht nicht mehr so lange wie auch schon bis ich in die Schweiz zurückkehre. Obwohl ich natürlich sehr froh bin, dass mir noch fast ein halbes Jahr hier bleibt.
Bilanz ziehen? Habe ich eigentlich keine grosse Lust dazu. Nur soviel: es war ein gutes halbes Jahr, ich habe viel gelernt und bereue (abgesehen vom Verlust meiner Kamera) nichts, aber ich weiss, das zweite halbe Jahr wird noch viel besser werden ;).
Höhepunkte? Meine ersten beiden kleinen Reisen, aber auch sonst viele kleine Dingelchen des Alltags und als konstanter Höhepunkt (geht das?) das Glück, das ich mit meiner super netten Gastfamilie habe. Der Wechsel des Projekts war eine gute Sache, ebenso wie die Gitarrenstunden und die Fortschritte im Spanisch.
Was bevorsteht? Arbeit :), meine grosse Reise im Juni/Juli, Quechua lernen und unendlich vieles mehr!